Ingolstadt
"Die Komposition ist fantastisch"

Benyamin Nuss erklärt, warum er Musik aus Videospielen spielt Der Pianist gastiert bei den Audi-Sommerkonzerten

28.06.2017 | Stand 02.12.2020, 17:52 Uhr

Benyamin Nuss gastiert am 15. Juli, 19.30 Uhr, in der Ingolstädter Eventhalle. Karten gibt es bei den DK-Geschäftsstellen. - Foto: Chillagano

Ingolstadt (DK) Der Pianist Benyamin Nuss ist eine Ausnahmeerscheinung. Anders als die meisten seiner Kollegen, gibt es für ihn anscheinend keine Genregrenzen: Er spielt gleichermaßen Klassik, Jazz, Film- und Videospielmusik. Mit Letzterer ist er bekannt geworden, er war der erste Pianist, der eine CD mit Kompositionen des japanischen Videospielkomponisten Nobuo Uematsu eingespielt hat. Am 15. Juli wird er im Rahmen der Audi-Sommerkonzerte, die heute Abend eröffnet werden, in der Ingolstädter Eventhalle gastieren.

Herr Nuss, Sie spielen Musik aus Videospielen im Konzert. Gibt es nicht genug Kompositionen für Ihr Instrument?

Benyamin Nuss: Doch natürlich, es gibt genug für das Klavier.

Wie sind Sie dann darauf gekommen?

Nuss: Die Idee kam mir, als ich noch sehr jung war. Mein Vater hat sehr gerne Videospiele gespielt, und wir haben als Kinder immer zugeguckt. Aber er hat dabei meist den Ton ausgedreht. Das hat mich nachdenklich gemacht. Ich wollte die Musik hören, schließlich finden sich da viele interessante Themen. Sie passen auch perfekt zum Geschehen. Das war der Anfang, ich habe gemerkt, dass da viel Potenzial in der Videospielmusik steckt.

Wie ging es dann weiter?

Nuss: Ich wurde allmählich als Klavierspieler immer besser, gewann Wettbewerbe und kam als Jungstudent an die Musikhochschule. Und dann ist plötzlich dieses Thema wieder aufgetaucht, als ich ein Stipendium gewonnen hatte und der WDR etwas mit mir produzieren wollte. Wir kamen ins Gespräch und die Redakteure erzählten beiläufig davon, dass sie gerade ein ungewöhnliches Projekt verfolgen würden, dass sie Videospielmusik aufführen würden. Genau das Stück, um das es ging, kannte ich auch aus meiner Kinderzeit, das hat dann Erinnerungen geweckt. Ich habe nur gesagt: Das ist genau das Stück, das ich am meisten selber auch gespielt habe, und die Komposition ist fantastisch.

Welches Stück war das?

Nuss: Die Musik aus "Final Fantasy". Aus diesem Spiel werde ich auch sehr viel in Ingolstadt vortragen.

Was ist denn an Videospielmusik anders als beispielsweise an Filmmusik oder klassischer Musik?

Nuss: Es gibt viele Ähnlichkeiten. Die Leitmotive zum Beispiel, wie wir sie hauptsächlich aus klassischen Opern kennen, etwa von Wagner. Die meisten Videospiel-Werke kommen aus Japan. Zum Beispiel Nobuo Uematsu hat ein ganz breites Musikspektrum verarbeitet, er hört von Bach bis zu Progressiv Rock alles und lässt es in seine Kompositionen einfließen.

Wirkt diese Musik denn überhaupt, wenn man sie für Klavier transkribiert?

Nuss: Sehr, sehr gut sogar. Man kann ja mit einem Klavier sehr gut das Orchester imitieren. Man hat auch mehr Freiheiten der Gestaltung, etwa beim Tempo und der Dynamik auf dem Klavier.

Sind Sie eigentlich einer der Ersten, die Videospielmusik auf dem Klavier spielen?

Nuss: Ja. Ich bin, so weit ich weiß, auch der einzige Pianist, der eine CD mit dieser Musik herausgebracht hat. Das war auch für die Deutsche Grammophon sehr interessant.

Ist das Publikum deutlich jünger?

Nuss: Viel jünger. Videospiele gibt es ja noch gar nicht so lange. Die ältesten im Publikum sind meist so 40 oder 45 Jahre alt, die meisten sind erheblich jünger. Man sieht viele Leute, die offenbar zum ersten Mal in ein klassisches Konzert gehen und gar nicht wissen, was sie anziehen sollen und wie sie sich zu verhalten haben.

Sie spielen gleichermaßen klassische Werke und Jazz. Wie gehen Sie an diese unterschiedlichen Musikrichtungen heran?

Nuss: Bei uns zu Hause lief von Klassik bis Jazz alles, natürlich auch Pop und Rock. Das ist für mich etwas völlig Natürliches. Für mich ist auch diese Grenze gar nicht so deutlich. Bei vielen Jazzern wie Duke Ellington höre ich viele klassische Einflüsse heraus, umgekehrt höre ich bei Debussy Bill Evans.

Ist diese Musik eine Möglichkeit, Jugendliche für Klassik oder Jazz zu begeistern?

Nuss: Auf jeden Fall. Es gibt genügend Beispiele, wenn ich etwa mit Komponisten unterwegs war, dass Fans in die Garderobe kamen und erzählen: Herr Uematsu, ich habe mit Ihrer Musik angefangen, jetzt höre ich Bach und Strawinsky. Es gibt auch Programme, in denen Videospielmusik mit klassischer Musik gemischt wird. Ein Dirigent etwa hat zunächst nur diese Musik gespielt und nach der Pause dann plötzlich von Gustav Holst "Die Planeten". Die Leute haben eigentlich den Unterschied nicht gemerkt. Sie waren verwundert, als man ihnen sagte, dass sie klassische Musik gehört haben.

Das Interview führte

Jesko Schulze-Reimpell.

ZUR PERSON

Benyamin Nuss kam 1989 in Bergisch-Gladbach zur Welt. Als Sechsjähriger erhielt der Sohn des Posaunisten Ludwig Nuss und Neffe des Jazzpianisten Hubert Nuss seinen ersten Klavierunterricht, 2006 wurde er Jungstudent. Er konzertierte weltweit u.a. mit dem London Symphony Orchestra, Royal Stockholm Philharmonic Orchestra, Gewandhausorchester Leipzig, Japan Philharmonic Orchestra, mit den Warschauer Symphonikern und dem WDR Funkhausorchester. Sein Debütalbum "Nuss plays Uematsu" (Deutsche Grammophon), das Videospielmusik in einen klassischen Kontext setzt, schaffte es aus dem Stand in die Klassikcharts.