Ingolstadt
"Die Familie ist Spiegel der Gesellschaft"

Mit "Der Fall der Götter" startet die Spielzeit am Stadttheater Ingolstadt Für Regisseur Donald Berkenhoff ist es das Stück der Stunde

04.10.2017 | Stand 02.12.2020, 17:24 Uhr

"Wir befinden uns in dem Stück an der Zeitenwende: Eine Demokratie versackt in einer totalitären Gesellschaft", sagt Regisseur Donald Berkenhoff (rechts), der hier eine Szene mit dem Schauspieler Sascha Römisch probt. - Foto: Hauser

Ingolstadt (DK) Mit "Der Fall der Götter" startet das Stadttheater Ingolstadt am Freitag im Großen Haus in die neue Spielzeit. Das Stück erzählt nach dem Film "Die Verdammten" von Luchino Visconti vom Zerfall der Industriellendynastie Essenbeck, die sich, um ihren Stahlkonzern zu retten, den Nazis andient. Die gesellschaftlichen Konflikte spiegeln sich im Privatleben. Im Kampf um die Macht schreckt man auch vor Mord nicht zurück. Regie führt Donald Berkenhoff.

Herr Berkenhoff, der Film von 1969 meinte ziemlich unverhohlen die Krupps. Bei Ihnen kommen gar keine Nazis vor - warum?

Donald Berkenhoff: Keine Nazis? Eigentlich nur Nazis. Sie haben keine braunen oder schwarzen Uniformen an. Und sie kennzeichnen sich nicht mit Hakenkreuzbinden. Diese Nazis haben inzwischen ihre Heimat in Comics, Videospielen und amerikanischen Comedyserien gefunden. Wir wollen nicht mit dem Oberflächenreiz agieren: Hakenkreuz ist verboten und Provokation. Provokation ist das schon lange nicht mehr. Die smarten Jungs und Mädels von den Identitären sind eher unser optisches Vorbild. Es geht um Denken: die Feindschaft gegen eine offene Gesellschaft, die brennenden Flüchtlingsunterkünfte, das Seligsprechen der deutschen Armee, was immer unverhohlener betrieben wird. Wir befinden uns in dem Stück an der Zeitenwende: Eine Demokratie versackt in einer totalitären Gesellschaft. Die Grenzen werden geschlossen, kritische Journalisten verhaftet, das Land mit Prozessen überzogen. Die Nazis kleiden sich in edlen Zwirn.

 

Sind es denn bei Ihnen immer noch die Krupps - oder geht es um einen abstrakteren Familienbegriff?

Berkenhoff: Ja, es sind auch die Krupps. Es sind auch die Trumps, Putins, Erdogans, Orbans, etc. Es ist eine Familie, die glaubt, sie sei Elite. Und dieser Elite ist alles erlaubt. Die Familie ist Spiegel der Gesellschaft. Eine Generation, die einen anderen Begriff von Wirtschaft hatte, geht. Eine andere kommt, geschult auf den Märkten des Neoliberalismus. Die werden über Leichen gehen. Es ist eine Familie, die ihr Geld mit der Fabrikation von Waffen verdient. Und sie verdienen gut, denn alle 14 Minuten wird ein Mensch mit einer deutschen Waffe getötet.

 

Funktioniert das Stück auch ohne diesen zeitlichen und politischen Bezug? Wie lösen Sie beispielsweise die Sache mit dem Reichstagsbrand 1933?

Berkenhoff: Die Inszenierung ist eher in der Zukunft angesiedelt. Die Gegenwart verschärft sich. Aber sie reflektiert tatsächliche Begebenheiten. Der Reichstagbrand wurde ein Mythos. Was war inszeniert, was war vorher bekannt, wie weit hat er den Nazis in die Hände gespielt? Wir benutzen ein ähnliches Ereignis, den Putsch in der Türkei, die Massenverhaftungen, das Schließen der Grenzen ...

 

Ein Spielort ist die Wohnung der Trumps.

Berkenhoff: Ja, die Wohnung der Trumps sieht tatsächlich so aus. Ein Albtraum in Samt und Marmor. Aber die Figuren sind nicht die Trumps, sie verhalten sich wie russische Oligarchen. Um sie herum passieren Dinge, die hauptsächlich in der Türkei passiert sind. Die Inszenierung hat drei Teile, die jeweils mit einem programmatischen Text begonnen werden: Amerika, Russland, Türkei. Und darin spiegeln wir unsere eigene Verfassung.

 

Luchino Viscontis Film-Klassiker wird zumindest zu Beginn auch im Theater zu sehen sein. Was hat Sie an dem Film als auch an der Bühnenbearbeitung von Tom Blokdijk interessiert? Was wollen Sie erzählen?

Berkenhoff: Ich kenne den Film schon lange. Als Student hat er mich sehr beeindruckt. Jahre später wurden mir aber auch kritische Blicke auf den Film verständlich. Die Faszination an den Nazis, Helmut Berger und Helmut Griem in SS-Uniformen, das Ganze als Oper zubereitet, na ja. Dann gab es die Bearbeitung für die Bühne von Blokdijk. Einige Theater haben sich daran versucht und immer betont, wie aktuell das Stück eigentlich ist. Und das wollte ich ausprobieren. Wie viel Gegenwärtigkeit hält das Drehbuch aus?

 

Schon bei Tom Blokdijk ist es Theater im Theater: Auch auf der Bühne ist ein Regisseur.

Berkenhoff: Der Regisseur will seine Arbeit erledigen. Kunst machen. Möglichst schnell. Die Kosten niedrig halten und teuer aussehen. Und es muss gut aussehen. Menschliches Elend in Abendkleidern. Wir erzählen über Demokratie, verhalten uns aber völlig undemokratisch. Eine Dopplung: Wie der Unternehmer entscheidet nur ein Einziger, was gemacht wird.

 

Wie wichtig ist die Musik, und welche wird man hören?

Berkenhoff: Musik ist ziemlich wichtig. Das meiste ist neu, um die Gegenwärtigkeit der Vorstellung zu behaupten. Beim Einlass wird jeden Abend andere Musik gespielt. Das entscheiden wir nachmittags. Wir lesen die Zeitungen vom Tag. Stefano di Buduo stellt auf seiner Videoleinwand jeden Abend eine neue Collage her, aktuelle Zeitungsartikel, Bilder, die mit dem Geschehen auf der Bühne korrespondieren. Wir singen live Robert Schuhmann, man wird Bach hören, Carla Bley, Bill Callhan, Laibach, Perfum Genius und vieles mehr. Anhand der Musik kann man sich orientieren, in welcher Zeit man gelandet ist, denn auch Zeitsprünge sind ein wichtiges Element.

 

Die größte Herausforderung?

Berkenhoff: Die größte Herausforderung war tatsächlich, den Text ständig neu zu denken, aber in seinen Handlungssträngen und auch im Wortlaut so weit wie möglich bestehen zu lassen. Und die Figur des jungen Günther Essenbeck zu verstehen. Im Film ist er der Gute, verschwindet und kommt als Nazi in Uniform zurück. Da mussten wir viel dazufüttern. Die zweite Herausforderung sind die Umzüge. Das Ensemble wird auf der Bühne dreimal komplett umgezogen.

 

Was soll das Publikum mitnehmen aus der Inszenierung?

Berkenhoff: Anregung. Dinge neu und anders zu sehen. Und das, was dieser ziemlich kurze Abend (knapp 100 Minuten) an Irritation und Fragen über die Moderne stellt, weiterzudenken. Genau zu hören. Wo die neuen Nazis mit gemehlten Pfoten und kreidefressend auftauchen.

 

Die Fragen stellte Anja Witzke.

 

Premiere ist am Freitag, 6. Oktober, um 19.30 Uhr im Großen Haus. Kartentelefon (08 41) 30547200.