Ingolstadt
Der Weg ins Freie

Down-Town-Projekt des Ingolstädter Stadttheaters: Donald Berkenhoff inszeniert "Beast on the Moon"

09.06.2016 | Stand 02.12.2020, 19:41 Uhr

Erinnerung an den Armenier-Genozid: Szene mit Matthias Zajgier, Mara Amrita und Béla Milan Uhrlau (von links). - Foto: Herbert

Ingolstadt (DK) Es geht vorbei an grausigen Bildern von Krieg und Kriegsversehrten, ein verschlungener Weg ist das bis zum Ziel. Und das erweist sich als eine Art Kammer zwischen Ausstellungsräumen im ersten Stock, eng, fensterlos, düster. Eine niedrige Decke, Wände und Boden mit Schlachtengetümmel bebildert, Waffen und Gasmasken rundum - Klaustrophobiker sind hier vermutlich fehl am Platz. Für alle anderen: Willkommen in "Down-Town". In den Bauch des Armeemuseums im Reduit Tilly führt die gleichnamige Reihe des Ingolstädter Stadttheaters diesmal, und das hat einen guten Grund.

Denn das Stück, das Regisseur Donald Berkenhoff hier realisierte, ist so klaustrophob und düster wie die vorgefundene Bühne selbst. In "Beast on the Moon" blickt Autor Richard Kalinoski zurück auf einen Lebensabschnitt zweier Überlebender des Armenien-Genozids. Wir schreiben 1921, und Aram, dem die Flucht gelang und der sich ein Leben als Fotograf in Amerika aufgebaut hat, hat gerade eine armenische Waise per Katalog gekauft, kommen lassen und ihr so das Leben gerettet. Was beide im Gepäck haben, wird sich bald zeigen. Vergewaltigung, Folter, Mord kommen zur Sprache - und sind vielleicht doch nicht das eigentliche Thema. "Wie wollen wir leben", lautet das Thema der kommenden Spielzeit. "Wie leben wir unser Überleben" ist vielleicht das des Stücks. Gibt es ein Entkommen aus Erinnerung und Schmerz?

Ganz schlicht und dabei wirkungsvoll setzt Berkenhoff das Kammerspiel in Szene. Der vorgegebene Raum ist Kulisse, zwei schwarze Drehstühle und ein paar grelle Lampen sind ihre Einrichtung, der Rest ist Improvisation. Unter den Sitzen der Zuschauer, die ganz nah rundum an den Wänden sitzen, wird mal ein Koffer hervorgeholt, mal ein Buch, ansonsten Konzentration aufs Zentrum.

Dort agieren Aram, Seta - und später der Junge Vincent, auch eine Art Waise, aber eine amerikanische. Am Anfang ist diese Figur auf einem der nur 40 Sitzplätze im Auditorium freilich erst mal Erzähler, Stichwortgeber, Requisitenreicher. Und ein Licht im Dunkeln. Denn mit Béla Milan Uhrlau, der das grandios spielt, kommt tatsächlich eine Art kommentierender Komik ins Spiel, ein Widerpart zum Schrecken zwischen den zwei Menschen, der nötig ist. Diese zwei Menschen: Mr. Aram Tomasian, der die Erinnerung an seine ermordete Familie in Form eines Fotos mit ausgeschnittenen Köpfen wahrt und verbissen daran arbeitet, diese "Leerstellen" zu füllen mit einer eigenen Frau, mit eigenen Kindern; Schweigen über das Unsagbare ist sein Credo. Und Seta, die als 14-jährige zu ihrem Retter und Ehemann (wieder ein Vergewaltiger) kommt und dessen Programm - schweigen und fruchtbar sein - nicht erfüllen kann. Aufbrechen will sie diesen Stein von Mensch, und die furchtbare Wahrheit akzeptieren.

Matthias Zajgier und Mara Amrita spielen diese zwei so unterschiedlichen (Über)Lebensentwürfe zweier so gleich gebrochener Menschen, und sie tun das im Lauf des Abends immer intensiver, atemberaubend manchmal. Annäherung geschieht, Ausbrüche kommen, und endlich muss das große Schweigen gehen. Auch weil mittlerweile Straßenjunge Vincent da ist, mit seinem eigenen Überlebensschicksal. Am Ende ein Familienfoto: Er und das kinderlose Ehepaar posieren vor Arams Kamera. Damit ist nichts gut, aber die Tür des grauen Raums offen. Begeisterter Applaus für diese kleine Inszenierung!

Weitere Vorstellungen heute sowie am 15., 17. und 22. Juni. Kartenanfragen unter Telefon (08 41) 30 54 72 00