Ingolstadt
Der Gentleman unter den Kabarettisten

Dieter Nuhr lästert intelligent und im Plauderton über zwei Stunden lang in Ingolstadt über Gott und die Welt und die Menschen

20.05.2012 | Stand 03.12.2020, 1:28 Uhr

Unaufgeregt, höflich, punktgenau kritisch: Dieter Nuhr - Foto: Rössle

Ingolstadt (DK) Die Scheinwerfer sind noch nicht an, da begrüßt das Publikum im voll besetzten Festsaal des Stadttheaters Ingolstadt schon Dieter Nuhr mit Applaus. Der Düsseldorfer Kabarettist tritt ohne Pomp und Musik, in Alltagskleidung, Jeans, Jacke, T-Shirt, auf. „Es ist ja fast ein alljährliches Ritual“, sagt er. Die Ingolstädter seien treue Fans, die kämen, egal, welches Programm angekündigt sei.

„Nuhr unter uns“ heißt das aktuelle und bringt seinen Stil auf den Punkt. Wie ein Freund plaudert er „unter uns“ über Gott und die Welt, charmant, unaufgeregt. Als Fortuna-Fan schüttelt er den Kopf über das Nachspiel zum Spiel gegen Hertha, erklärt, die Pyrotechnik sei von den Herthanern gekommen. Damit hätten es die Düsseldorfer nicht so. Pyrotechnik dient als Stichwort, um in sein Programm überzuleiten. Er habe sogar auf ein Bühnenbild verzichtet – tatsächlich braucht er nur ein Mini-Pult für seine Notizen und ein Mikrofon –, damit das Publikum nicht in Fernseh-Verhalten verfalle, sich berieseln lasse. Er kündigt einen Wohlfühlabend an, ohne Aufgeregtheiten und Ideologie, anders als Polit-Kabarettisten. Wer sich ereifere, der lande schnell im Burn-out. Das ist das nächste Stichwort für seine Kritik am Zeitgeist: Burn-out sei oft nur Überforderung: „Wer Flugangst hat, sollte eben nicht Pilot werden!“, leitet er zur eigenen Berufswahl über. Eigentlich sei er Lehrer (für Kunstpädagogik und Geschichte steht im Lebenslauf). Aber täglich nur vor 30 Jugendlichen aufzutreten, sei nicht toll. Als Partygäste seien die Teenager aber angenehm, hätten zuletzt bei ihm zu Hause das Alkohol-Verbot akzeptiert: „Die kommen schon hackedicht nach dem Vorglühen an der Tanke. Da kriegen sie den Alkohol nach dem Motto: Sind ja noch Kinder, können nicht Autofahren!“ Das sitzt. Nuhr ist aber schon wieder weiter, merkt selbstkritisch an, dass der Papst bei seinem Auftritt im Berliner Olympiastadion viel mehr Publikum hatte als er: „Und das mit einem 2000 Jahre alten Programm!“ Lästert noch kurz über Priester, vor allem aber führt er modernen Aberglauben und die Verschwörungstheorien intelligent ad absurdum.


 
Im Gentleman-Ton nimmt er sich den Alltag und die großen Fragen vor, verknüpft Banales mit Lebenswichtigem: die Warnung vor dem Klimawandel mit dem Bahnfahren aus Klimaschutzgründen. Die Ansage „Danke, dass Sie Deutsche Bahn gewählt haben“ mit Wahlen: „In Syrien kämpfen sie für Wahlen, wir gehen nicht mehr hin.“ Und mit dem Gehabe der politisch Mächtigen in der Demokratie („welcher nur“): „Jeden Sommer lässt sich Putin mit nacktem Oberkörper ablichten, um zu zeigen, dass er eine gute Wahl ist. Gut, dass das Angela Merkel nicht tut!“

Nuhr scheint verzweifelt darüber, dass die Menschheit immer dümmer wird, preist aber gleichzeitig an, dass Dummsein glücklich mache. Kultur sei eher was für Frauen, für Männer sei allein das Händewaschen nach dem Pinkeln Kultur. Da ist seine Wortwahl weniger die eines Gentleman. Er hält jene Polizisten für mutig, die Damenhandtaschen kontrollieren. „Was da drin ist. Angelutschte Bonbons, Manikürsets, Hygiene-Artikel, heimlich aus Zeitschriften in der Arztpraxis herausgerissene Kochrezepte, nicht verschlossene Lippenstifte, sodass die Polizisten rote Finger bekommen“, lässt er keine Zweifel darüber aufkommen, wie er kulturbeflissene Damen einschätzt.

Kein Satz, bei dem er nicht Verrücktes anprangert, stets intelligent, höflich, Geschmacks- und Schmerzgrenzen einhaltend. Stundenlang hätte das Publikum zuhören wollen. Als Zugabe konnte es Fragen stellen und bekam Nuhr’sche Antworten. Ob er Bayern-Fan sei: „Klar. Ich kenne Mesut Özil und seine Familie persönlich.“