Ingolstadt
Das "Nichts" im Terminkalender

27.11.2014 | Stand 02.12.2020, 21:56 Uhr

Muße macht Mühe: Anselm Bilgri gab beim letzten Abend der Herbstreihe „LeseLust“ unserer Zeitung Tipps gegen Hektik - Foto: Rössle

Ingolstadt (DK) „Muße macht Mühe.“ Und: „Es geht nicht von heute auf morgen“, antwortet Anselm Bilgri auf die Frage, wie es ihm gelinge, Auszeiten zu nehmen. Zuvor hatte der ehemalige Benediktiner-Mönch am Mittwoch im DK-Forum vor mehr als 150 Zuhörern aus seinem Buch „Vom Glück der Muße.

Wie wir wieder leben lernen“ gelesen. Das hat er zusammen mit seinen Kollegen der 2013 gegründeten „Akademie der Muße“ geschrieben, weshalb die Fragen nach Glück, Leben und Besinnung auch aus psychologischer und soziologischer Sicht betrachtet werden. Während des „LeseLust“-Abends unserer Zeitung liest Bilgri aber nur aus den von ihm verfassten Kapiteln zur Muße im Wandel der Geschichte, wie Spiel, Sport und Kunst zweckfrei erlebt werden können, und wie man die technologischen Entwicklungen zur Entschleunigung nutzen kann. Zwischen den Leseabschnitten plaudert Bilgri aus dem Nähkästchen, beispielsweise, dass auch er sich die kleinen Inseln der Ruhe immer wieder neu schaffen müsse. „Sicher hat mir dabei geholfen, dass ich 30 Jahre lang den geregelten Tagesablauf im Kloster gelebt habe“, sagt er. Zu den Gebetszeiten gehörten dort auch stille Minuten, in denen nicht geredet wurde. Neben dem bekannten benediktinischen „ora et labora“ („bete und arbeite“) gehöre zum Rhythmus mönchischen Lebens auch geistliche Lektüre.

Allerdings kenne er Hektik und Erschöpfung nicht erst seit zehn Jahren, also nach seinem Austritt aus dem Orden, sondern bereits aus seiner Münchner Zeit in der Abtei St. Bonifaz. Dort war er als Jugendpfarrer für 13 Pfarreien tätig, kam oft spät ins Bett, „weil die Jugendlichen ja gerne länger zusammensitzen“. Dennoch wollte er die frühen Gebetszeit um 5 Uhr einhalten. Da habe er entdeckt, wie wichtig Schlaf für die Gesundheit sei.

Wie also kann man „der wahre Herr über die Zeit“ werden, über jene durch die technologischen Entwicklungen von Arbeit befreite Zeit? Bilgri, der sich nicht als Verächter von Technik verstanden wissen will – „die Zeit lässt sich nicht zurückdrehen“ –, mahnt, sich nicht wieder vereinnahmen zu lassen von neuen Aufgaben oder noch mehr Mails abzuarbeiten. Vielmehr solle man bewusst Pausen einplanen, die Gedanken dabei frei schweifen lassen, warten lernen, nicht ungeduldig werden, beispielsweise beim Stau während der Autofahrt: „Nehmen Sie das als geschenkte Zeit an.“

Ab und an sollte im Terminkalender ein „Nichts“ stehen: „Wenn Sie gefragt werden, ob Sie zu dieser Uhrzeit etwas übernehmen können, sagen Sie nein. Sie haben da schon einen Termin“, sagt er und ergänzt, dass dies nicht von ihm stamme. Wie er sowieso im Buch und im Gespräch auf Vordenker aus Vergangenheit und Gegenwart verweist. Am sinnfälligsten ist die von Ignatius von Loyola übernommene Übung, mit einem Text zur Ruhe zu finden. Bilgri tut dies mit Goethes „Wanderers Nachtlied“: Zeile für Zeile solle man laut lesen, innehalten, den Text auf sich wirken lassen, spüren, was im Inneren mit einem geschehe, die Gedanken aufschreiben und fragen: „Was will ich deshalb konkret ändern“