Ingolstadt
"Bessere Musik gibt es nicht"

Franz Hauk spielt ab heute in einem großen Zyklus das gesamte Orgelwerk von Johann Sebastian Bach

06.04.2017 | Stand 02.12.2020, 18:20 Uhr

Ingolstadt (DK) Eine Herkulesaufgabe: Der Münsterorganist und Musikwissenschaftler Franz Hauk (Foto) hat sich vorgenommen, das gesamte Orgelwerk von Johann Sebastian Bach in einem zweijährigen Zyklus aufzuführen. Für dieses Jahr besteht das Programm mit 16 Konzerten bereits, die Konzerte für das Jahr 2018 müssen noch konzipiert werden. Grund für den gigantischen Zyklus ist sicherlich die Fertigstellung der Chor-Orgel im Münster, die auch den Beinamen "Bach-Orgel" trägt - denn sie wurde genau so gebaut, dass sie dem Klangideal des großen Thomaskantors entsprechen sollte. Insbesondere die große Silbermann-Orgel in Dresden wurde vom Orgelbauer Kristian Wegscheider als Vorbild genommen.

Herr Hauk, Sie stellen in Ihrem Bach-Zyklus einen Zusammenhang zu Luther her. Was haben die beiden großen Gestalten der Geschichte miteinander zu tun?

Franz Hauk: Die norddeutsche und mitteldeutsche Orgelmusik ist natürlich vom Protestantismus beeinflusst. Es gibt ein sehr aufschlussreiches Buch des Musikwissenschaftlers Konrad Küster, der sich mit dieser Frage auseinandergesetzt hat. Der stellt letztlich fest, dass der lutherische Einfluss auf die protestantische Kirchenmusik gar nicht so stark ist. Stärker war der allgemeine musikgeschichtliche Zeitgeist, d. h. bei Bach besonders der Einfluss der italienischen Barockmusik, also die spezifische italienische Form des Concerto grosso. Und dann auch die französischen Komponisten. Von beiden Strömungen hat Bach viel übernommen, Werke sogar abgeschrieben, etwa von Frescobaldi. Maßgeblich war also die allgemeine Musikentwicklung.

 

Wie viele Abende werden Sie für Ihr Orgelprojekt benötigen?

Hauk: Das kann ich im Moment nur schätzen. Geplant habe ich in diesem Jahr zunächst 16 Konzerte, im nächsten Jahr werden sicherlich noch einmal so viele folgen.

 

Aber Bach hat doch gar nicht so viele Orgelwerke komponiert?

Hauk: Viele frühe Kompositionen sind erst in den letzten 15 Jahren identifiziert worden. Denn man hat begonnen, die sogenannten unsicheren Werke aufzuarbeiten. Beim Bärenreiter-Verlag sind jetzt gerade drei Bände mit Orgelmusik herausgekommen, die bisher noch weitgehend unbekannt war. Der Grund dafür liegt in der Arbeitsweise der Musikwissenschaft, die früher hauptsächlich nach stilistischen Maßstäben die Werke zugeordnet hat. Heute ist man viel vorsichtiger geworden. Gerade das Frühwerk ist oft nur sehr schwer von Werken der Zeitgenossen zu unterscheiden. Dadurch haben wir ein paar Hundert Stücke hinzugewonnen, von denen wir wissen, dass sie zumindest möglicherweise von Bach stammen.

 

Kein Komponist hat je vorher und je nachher so stark die Orgelmusik revolutioniert wie Bach. Orgelkompositionen von Mendelssohn, Liszt oder Reger sind ohne Bach überhaupt nicht denkbar. Was ist so wegweisend am bachschen Orgelwerk?

Hauk: Da haben Sie völlig recht. Das lag einmal daran, dass Bach viele Schüler hatte. Komponisten mit vielen Schülern finden eine weitere Verbreitung, das ist eine musiksoziologische Tatsache. Auf der anderen Seite hat er eine relativ dissonante Musiksprache entwickelt, wenn man ihn etwa mit Händel vergleicht. Händel hat großartige Werke geschrieben, aber seine Kunst besteht oft in der Einfachheit, in der plakativen Wirkung. Bach ist ein Komponist, der wie kein anderer den Satz strukturieren kann, sowohl von der zeitlichen Dimension als auch in vertikaler Hinsicht von der Harmonik her.

 

Sie erwähnen den Begriff "plakativ". Nicht nur Händel, auch einige der Bach-Werke sind plakativ, etwa die d-Moll-Toccata. Ist die Orgelmusik mit Bach wirkungsvoller geworden?

Hauk: Die Orgeln sind schon vor 1700 lauter geworden, als der evangelische Choralgesang Einzug hielt. Die Orgel hat den Gesang begleitet, und offenbar wurde zunehmend lauter gesungen - auch kraftvoller wohl als das heute in Ingolstadt üblich ist - und dementsprechend wurden auch die Orgeln fülliger. Die d-Moll-Toccata ist aber möglicherweise ein unpassendes Beispiel.

 

Warum?

Hauk: Weil die Musikwissenschaft nicht sicher ist, ob es sich wirklich um ein Werk Bachs handelt. Es gibt dazu ein ganzes Buch. Allerdings gibt der Autor nur stilistische Hinweise, etwa weist er auf die Tatsache hin, dass zwei Drittel des Stücks einstimmig sind. Andererseits: Wer in dieser Zeit hätte so ein geniales Stück komponieren können?

 

Haben Sie ein Konzept, wie Sie das Orgelwerk präsentieren?

Hauk: Es gibt verschiedene Kompositionsformen, die ich teilweise zusammenfasse. So werden die 18 Choräle an drei Abenden gespielt. Das Orgelbüchlein werde ich über das Kirchenjahr verteilen, wie es gerade passt. Teilweise kombiniere ich die Choralvorspiele mit gesungenen Chorälen. Dann gibt es innere Strukturen: Ich koppele oft Präludien und Fugen des Frühwerks mit Spätwerken. Letztlich ist es wichtig, dass jedes einzelne Programm vielseitig ist und gut funktioniert.

 

Werden sonst die meisten Werke auf der sogenannten neuen Bach-Orgel vorgetragen?

Hauk: Ich versuche, alle Instrumente im Umkreis, zu denen ich Zugang habe, zu nutzen. Einige Werke spiele ich in der Kirche Maria de Victoria. Dort werde ich eher komplizierte Stücke spielen, bei denen man jede Stimme wirklich genau verfolgen sollte. Einige Werke erklingen auf der großen Klais-Orgel im Münster als Emporenkonzert und ein Großteil natürlich auf der Chor-Orgel. Auch die historische Bittner-Orgel in der Spitalkirche ist dabei.

 

Ist das Bach-Werk wirklich reichhaltig genug, dass man sich zwei Jahre lang damit beschäftigen kann?

Hauk: Warum fragen Sie? Bessere Musik gibt es schließlich nicht.

 

Das Interview führte Jesko Schulze-Reimpell.