Ingolstadt
Großes Rennen in den Tod

15.05.2011 | Stand 03.12.2020, 2:49 Uhr

Die Luftblasen tragen Unheil in sich. Menschen, die von ihnen getroffen werden, haben Schicksalsschläge zu erwarten. Osman Cerfons Film "Sticky Ends" bekam einen Preis als bester Animationsfilm.

Ingolstadt (DK) Das Jahr 1914. Viele Menschen fiebern dem Sportereignis des Jahres entgegen. Sie haben sich herausgeputzt, sind guter Stimmung. Die besten Pferde und Jockeys der Welt haben sich versammelt.

Sie treten zu einem großen Rennen an. Und so heißt der Film des spanischen Regisseurs Kote Camacho auch "La Gran Carrera". Doch die Anfeuerungsrufe bleiben den Zuschauern in dem Schwarz-Weiß-Film, der anmutet als wäre er wirklich der Zeit des Ersten Weltkrieges entsprungen, im Hals stecken. Auch die Zuschauer im Großen Haus des Theaters Ingolstadt sind schockiert. Die Pferde kommen ohne ihre Jockeys aus der Startbox. Die Männer baumeln an Stricken, sie sind tot. Doch der Blick auf den Wettzettel vertreibt schnell den Eindruck der schrecklichen Ansicht. Mit montierten Bildern und technischen Effekten manipuliert Kote Camacho seine Zuschauer. "La Gran Carrera" erhielt beim Kurzfilmfestival 20min|max den Hauptpreis als bester internationaler Spielfilm.

Das Finale des fünften 20min|max im Theater Ingolstadt zeigte noch einmal die Brandbreite des Genres Kurzfilm. Komisch, schräg oder berührend, alles war dabei. "Drama ist gerade groß", resümiert Organisatorin Bettina Reinisch. Doch die Theaterrolle zum Abschluss des 20min|max bestach auch mit Humor, wenn auch meist mit ernstem Hintergrund.

Gänzlich auf Dialoge verzichtet Michael Rittmannsberger in seinem Experimentalfilm "Sister". Die Kameraführung reicht, um eine beklemmende Stimmung aufzubauen. Detailaufnahmen, Unschärfe und Slow Motion zeigen die Verwundbarkeit des Menschen und den Schock einer Gruppe. Sie sucht an einem Badestrand verzweifelt ein verschwundenes Kleinkind. Ein ruhiger Film, der den Zuschauer tief ergreift, lobte die 20min|max-Jury den besten künstlerischen Film.

Ruhe, eine Prise Humor und Weisheit verströmt auch "Wycieczka". Ein Großvater unternimmt mit seiner Enkelin einen Ausflug, weg von den Computerspielen, raus in die Natur. Der Dokumentarfilm des polnischen Regisseur Bartosz Kruhlik entwickelt sich für den Zuschauer zu einer nachdenklichen Reise. Auf einfühlsame Weise erklärt der Opa dem Mädchen die Zeit, das wichtigstes Gut. Zeit, die ihm in seinem Leben vielleicht noch bleibt, Zeit, die sie viel zu selten miteinander verbringen. "Wycieczka" erhielt den Preis in der Kategorie bester Dokumentarfilm.

Jinx trägt einen Fischkopf auf den Schultern und macht Luftblasen. Sie tragen Unheil in sich, wie der Zuschauer in dem gut sechs Minuten langen Animationsfilm "Sticky Ends" feststellt. Schicksalsschläge ereilen den, den sie treffen oder begleiten. Der französische Regisseur Osman Cerfon spielt mit den Abgründen der menschlichen Seele. Pointiert, aber nicht zynisch, wie die Jury fand. "Sticky Ends" gewann den Preis als bester Animationsfilm.

Neu waren heuer Musikvideos im Programm. In einer kargen Umgebung erlebt der Hauptdarsteller von "Lightning Strikes" seltsame Dinge. Schalter verwandeln sich wie auf Kommando in Brüste. Die Musik und die Bilder verschmelzen zu einer Einheit. Sönke Held erhielt für "Lightning Strike" den Preis für das beste Musikvideo.

Der Kurzfilm ist eine Kunstform, losgelöst von der puren Unterhaltung. Maximal 20 Minuten dauern die Filme. Zeit genug, dass das Publikum seine Gewohnheiten hinterfrägt, sich amüsiert, oder verwundert zurückbleibt. Das ist die Faszination dieses Genres. Eine Faszination, die Bettina Reinisch noch weiter entfachen möchte. Fünf Jahre 20min|max seien eine gute Basis. "Wir sehen noch viel Potenzial", sagt die Filmwissenschaftlerin. Das Ingolstädter Kurzfilmfestival könne noch weiter wachsen. Mit dem diesjährigen 20min|max ist die Organisatorin sehr zufrieden. Die Abendvorstellungen waren alle ausverkauft und auch viele Regisseure hätten das 20min|max als Plattform entdeckt. Sie kommen gerne nach Ingolstadt.