Eichstätt
Poetischer Kämpfer

Ernesto Cardenals Lesung in Eichstätt wird zum Aufruf gegen Unrecht und Umweltfrevel

04.03.2015 | Stand 02.12.2020, 21:35 Uhr

Ernesto Cardenal gestern in der Aula des Gabrieli-Gymnasiums Eichstätt - Foto: Traub

Eichstätt (DK) Priester, Poet, Revolutionär: Mit seinen 90 Jahren ist Ernesto Cardenal vital und engagiert wie eh und je, erhebt seine Stimme, um die Welt auf Ausbeutung, Unrecht und Umweltfrevel aufmerksam zu machen, erneuert mit der Lesung gestern in Eichstätt aus seinem neuen Gedichtband „Etwas, das im Himmel wohnt“ (Peter-Hammer-Verlag) seine poetische Kraft und legt berührend Zeugnis seines Glaubens ab.

Zum dritten Mal ist Cardenal in der Domstadt zu Gast, hakt sich zwar bei seinem langjährigen Mitarbeiter und Übersetzer Lutz Kliche unter, als er in der voll besetzten Aula des Gabrieli-Gymnasiums die Bühne betritt. Doch seine Stimme ist so melodisch wie fest, wenn er ankündigt, welche Ziele er mit der 40-tägigen Lesereise verfolgt: „Die ganze Welt soll erfahren, was im Moment in Nicaragua geschieht“, wendet sich „Padre Ernesto“, wie ihn Schulleiter Adalhard Biederer begrüßt, gegen das 50 Milliarden Dollar teure Projekt, den geplanten Bau des 270 Kilometer langen, interozeanischen Kanals durch ein chinesisches Unternehmen. Das habe Präsident Daniel Ortega am Parlament vorbei durchgesetzt und unter Ausschluss der Öffentlichkeit den Vertrag geschlossen. Enteignungen drohten, erst in 100 Jahren werde Nicaragua an Aktien des Kanals kommen, wenn überhaupt. So lange lägen alle Rechte in chinesischer Hand.

Darüber hinaus bedrohe das Projekt die einmalige Naturlandschaft des Nicaraguasees. Durch diesen soll die Wasserstraße führen. Es drohe Versalzung und Verlust von Flora und Fauna, der Lebensgrundlage der Menschen am See, darunter der von Cardenal 1966 nach urchristlichem Vorbild auf einer der Inseln der Solentiname-Gruppe gegründeten Gemeinschaft. Cardenal warnt, dass durch den Kanal und dessen Sperrzone – beidseitig jeweils zehn Kilometer – das Land in zwei Teile zerschnitten werde, unter anderem die Tier- und Pflanzenwelt sich auseinanderentwickele, deren Vielfalt bedroht werde, obwohl sie als Unesco-Erbe ausgewiesen ist.

Beschwörend beschreibt Ernesto Cardenal zwischen diesen Ausführungen die Einmaligkeit Nicaraguas. Er, der sich „sein Leben lang“ als „Dichter des Sees“ gefühlt hat, jetzt in den Zeiten der Bedrohung umso mehr fühlt, nimmt sein Publikum in den Gedichten mit auf den Flug über den See und hinein in den Kahn der Fischer. Er erzählt vom tiefen Blau, von den Grüntönen des Nicaraguasees, wo ein weißer Reiher sich erhebt, der Blaupapagei ruft, die gelbe Johannisbrotblüte einen wundersamen Farbtupfer setzt. Es sind alte Gedichte, solche, die er während seiner Exilzeit schrieb, neue und mystische.

So sind die eineinhalb Stunden, die von lateinamerikanischen Klängen (Markus Schüller am Piano und Lucia Swientek, Geige, vom Gabrieli-Gymnasium) umrahmt werden, auch eine Rückschau auf sein Leben, das er gläubig und kämpferisch für das geschaffene Paradies auf Erden, die Tropen Nicaraguas, lebt. Und dort, wo sich der Himmel so vielfältig spiegelt im Wasser seines Sees, fragt er ruhig und in Gewissheit eines „Etwas, das im Himmel wohnt“: „Wann werde ich Dich von Angesicht zu Angesicht erblicken“

Und wäre doch nicht Cardenal, wenn er in der Fragerunde nicht an die Menschen in Deutschland appellierte, ihre Abgeordneten und die Bundesregierung zu mobilisieren, um dem Kanalbau und dem Diktator Ortega Einhalt zu gebieten.