Dinkelsbühl
Stürmische Sommerbrise

21.08.2016 | Stand 02.12.2020, 19:24 Uhr

Viele Metal-Fans übernachteten auf dem riesigen Zeltplatz (oben) und wollten Bands wie Arch Enemy (unten links) und Subway To Sally sehen. - Fotos: Queisser, Glaser, Gauch

Dinkelsbühl (DK) Der ohrenbetäubende Knall hallte kurz nach Mitternacht über das Gelände und ließ Tausende Besucher zusammenzucken. Vor der riesigen Hauptbühne zog dichter Qualm auf, Feuerfontänen schossen aus den Schwaden in den Nachthimmel. Nach wenigen Augenblicken jedoch die erleichternde Gewissheit: Das australische Metalcore-Quintett Parkway Drive hatte zum Ende seines Auftritts am späten Samstagabend einige Feuerwerkskörper gezündet - und dem letzten Festival-Tag des Summer Breeze im mittelfränkischen Dinkelsbühl einen eindrucksvollen Abschluss beschert. Dennoch: Der Schreck stand so manchem Besucher einige Minuten später noch ins Gesicht geschrieben.

Nicht zuletzt der Anschlag im nur 40 Kilometer entfernten Ansbach Ende Juli - ebenfalls auf einem Musikfestival - hatte dafür gesorgt, dass auch auf dem Metal-Treffen in Dinkelsbühl die Angst vor dem Terror ein Thema war. Am Ende waren alle Sorgen aber glücklicherweise unbegründet: Sowohl die 35 000 Festivalbesucher als auch die mehr als 100 Bands feierten zum mittlerweile 19. Mal eine riesige und vor allem friedliche Heavy-Metal-Party.

"Ich habe daran im Vorfeld überhaupt keinen Gedanken verschwendet", sagte Benjamin Stelzer, der bei den Aalener Melodic-Death-Metallern Parasite Inc. hinter dem Schlagzeug sitzt. "Wenn es passiert, passiert es. Ob in einer U-Bahn, auf einem Festival oder anderswo. Aber ich lasse mir diese Angst nicht aufzwingen - und mir schon gar nicht die Freude an der Musik nehmen." Einige Besucher sahen es ähnlich: "Ich habe die Karte schon ein halbes Jahr vorher gekauft. Ich hatte nicht eine Sekunde überlegt, sie zurückzugeben, obwohl meine Eltern mir gesagt haben, dass sie schon ein wenig Angst um mich haben", meinte der 21-jährige Markus Posselt aus Leipzig. Ein Rucksackverbot hatte es auf dem Gelände nicht gegeben, allerdings hatten die Veranstalter die Einlasskontrollen verschärft.

Und so standen vor allem die Musik und das gemeinsame Live-Erlebnis im Mittelpunkt. Allerdings: Als die Raketen am späten Samstagabend in den Himmel stiegen und das weitläufige Gelände mit seinen fünf Bühnen, unzähligen Imbissbuden und kleinen Händlerständen noch einmal in stimmungsvolles Licht tauchten, hatte sich ein Großteil der Besucher bereits auf den Weg ins Zelt gemacht oder die Heimreise angetreten. Denn nachdem Zehntausende seit Dienstag in Dinkelsbühl bei strahlendem Sonnenschein und fast tropischen Temperaturen gefeiert hatten, sorgte das rau-feuchte Wetter am Samstag für viele Lücken in den Publikumsreihen. Teilweise eng umschlungen und in wehende Regenponchos gehüllt harrten am Abend geschätzt noch etwa 6000 Besucher vor den Bühnen aus. Die auftretenden Bands - unter anderem die schwedischen Bluesrocker Blues Pills sowie die ebenfalls aus Schweden stammenden Düster-Metaller Katatonia wurden daher nicht müde, sich bei ihrem ausdauernden Publikum zu bedanken. Insbesondere Letztgenannte sorgten bis halb zwei in der Nacht mit ihren tieftraurigen, schweren Songs, einem famosen Sound sowie einer leidenschaftlichen Darbietung für den letzten Glanzpunkt des Festivals.

An den Tagen zuvor hatten vor allem die Bands aus dem Mittelalter-Rock-Segment für riesigen Andrang vor den Bühnen gesorgt. So brachte beispielsweise die Erlanger Formation Feuerschwanz die Massen am Freitag zum Toben - bereits zur Mittagszeit, wohlgemerkt. Tausende - viele davon bereits sichtlich angeheitert und mit Methörnern, Ledergurten und Fan-Shirts behangen - bejubelten die Gruppe, die auf der Bühne sowohl mit klassischem Rockinstrumentarium als auch Dudelsack, Drehleier und Geige agierte. Tags darauf wiederum lockten die Berliner Coppelius zahlreiche Besucher vor die Bühne - auf der unter anderem ein Cembalo und Cello zu bestaunen waren.

Stilistisch eher im Classic Rock verortet sind Steel Panther, die am Samstagabend die Hauptbühne bespielten. Die Musiker aus Los Angeles sorgten trotz teils überlanger und zudem recht plumper Monologe über das andere Geschlecht und das, was sie mit ihm am liebsten tun, für Jubelstürme. Im Verlauf des Konzerts forderte Frontmann Michael Starr dann sogar die weiblichen Zuhörer auf, sich zu entblößen. Viele junge Damen im Publikum, teils auf den Schultern ihrer Begleiter sitzend, kamen dem Aufruf auch nach - zum Entsetzen so manch anderen Besuchers. "Was für ein peinlicher Zirkus!" oder "Was hat das noch mit Metal zu tun" war zu vernehmen - meist von älteren Festival-Gästen, deren liebevoll bestickte Jeanskutten eine jahrzehntelange Leidenschaft für harte Gitarrenmusik erahnen ließen.

Für ebenjene Besucher hielt das Summer Breeze letztlich aber auch noch diverse Höhepunkte bereit. Unter anderem bot das Programm der etwas kleineren Zeltbühne zahlreiche Bands der deutlich härteren Gangart - ob nun die Briten Napalm Death mit ihren rasend schnellen Metal-Geschossen, die französischen Tech-Deather Gorod mit flirrenden Gitarrenläufen und infernalem Geröchel oder die letzte Band des Festivals, Batushka aus Polen, die in Priestergewändern gekleidet am frühen Sonntagmorgen bis drei Uhr die Bühnenbretter unter dem Zeltdach erbeben ließ.

Das bestbesuchte Konzert des Festivals war das der Thrash-Metal-Legenden Slayer am Freitagabend auf der Hauptbühne. Die Kalifornier lieferten auch nach mehr als 30 Jahren im Geschäft einen gutklassigen Gig, vor allem bei den flotten Klassikern wie "Angel Of Death" und "South Of Heaven" kreisten in den vorderen Reihen unzählige Haare wie Propeller durch die mittlerweile etwas stickige Luft auf dem Gelände - nicht nur sorgten mittlerweile der ausgiebig vergossene Schweiß der ausgelassen Feiernden, der biergetränkte Ackerboden und weggeworfene Essenreste für Naserümpfen, sondern vor allem die nahe gelegene Dinkelsbühler Biogasanlage, von der - bei ungünstigem Wind - eine deftige Brise herüberwehte. Die gute Laune ließen sich die meisten Besucher davon allerdings nicht verderben.