Altmannstein
Franz Hummel blickt in Hitlers perverse Psyche

''Der Schrei der Fledermäuse''

25.10.2016 | Stand 02.12.2020, 19:08 Uhr

"Es wäre zu viel der Ehre für Hitler, wenn man über ihn eine Oper schriebe - sogar wenn er darin schlecht wegkommt", sagt Franz Hummel. Deshalb hat er die Romanform gewählt. - Foto: Reibel

Altmannstein (DK) Der bekannte Komponist (77) aus Altmannstein legt mit "Der Schrei der Fledermäuse" seinen ersten Roman vor. Er arbeitet darin seine Jugend in der Nazi- und Nachkriegszeit auf. Ein provokantes Buch.

Nun hat er auch noch ein Buch geschrieben. Bislang war Franz Hummel vor allem als Komponist von 25 Opern und zahlreichen anderen Werken der modernen Klassik sowie einer neuen Bayern-Hymne auffällig geworden. Außerdem hat der Altmannsteiner in seiner wilden Jugend als Pianist über 60 Schallplatten eingespielt und es bis zu Auftritten in bekannten Konzerthäusern gebracht. Doch nun trieb es den 77-Jährigen von den Pianotasten an die Tastatur. "Der Schrei der Fledermäuse" heißt Hummels Romandebüt. Das Werk ist starker Tobak. Wie bei seinen Opern kann der ewige Provokateur Hummel das Zündeln nicht lassen und legt es darauf an, einmal mehr eine Kunstkontroverse loszutreten.

In "Der Schrei der Fledermäuse" wird akribisch beschrieben, wie mehrere Kinder massakriert werden. Adolf Hitler vergeht sich an jüdischen Mädchen, leidet an vorzeitigem Orgasmus und setzt sich mit Jesus Christus gleich. Mit Lust am Detail widmet sich Hummel, Zeit seines Lebens kein Kind von Traurigkeit, den beiden Leidenschaften seines Lebens: Sex und klassische Musik. In explizit pornografischen Szenen beschreibt der Autor die Entjungferung seines literarischen Alter Ego namens Kaspar durch eine deutlich ältere Frau. Ausgerechnet ein Polizist vergewaltigt und ermordet ein kleines Mädchen. Und die katholische Kirche kommt ebenfalls nicht ungeschoren davon.

Nicht zuletzt ist "Der Schrei der Fledermäuse" eine verklausulierte Liebeserklärung an den derben Charme von Hummels Heimat Altmannstein (Kreis Eichstätt). Bewunderung für den Menschenschlag blitzt durch, wenn er den Altmannsteinern ein ererbtes Talent bescheinigt, "mit Unglück und Verzweiflung beispielhaft umzugehen".

Das knapp 300 Seiten starke Werk, das im Grä-Verlag in Gräfelfing erschienen ist, nennt sich ausdrücklich Roman. Doch Hummel betont, dass die Basis Erzählungen aus seiner Kindheit in der Nazi- und Nachkriegszeit bilden, die möglicherweise auf Tatsachen beruhen (siehe Interview). Das Buch ist vorzüglich formuliert und atmet wie Hummels Musik einen eigenen Ausdrucksstil. Die Personen wirken authentisch, die Handlung ist spannend.

Aber der Inhalt ist bisweilen kaum erträglich. Seitenweise versetzt sich der Autor in Hitlers perverse Psyche. Man erlebt mit, wie sich der Unmensch aus dem Konzentrationslager Auschwitz jüdische Mädchen zuführen lässt, sie sexuell missbraucht und dann abschlachtet. Danach wird die Bestie wieder vermenschlicht. Natürlich ist Hummel Lichtjahre davon entfernt, ein Hitler-Versteher oder Nationalsozialist zu sein. Dennoch ist der Spagat, den der streitbare Autor hier wagt, oft nur schwer nachvollziehbar.

Doch andererseits surft das ewige Enfant terrible aus Altmannstein auf einer Woge des Zeitgeists, die einen entspannteren Umgang mit dem Massenmörder pflegt. Mehr als 70 Jahre nach dem Ende des Zweiten Weltkriegs verschwinden dessen unermessliche Schrecken schleichend unter dem Mantel der Geschichte. Die letzten Zeitzeugen sterben. Längst haben sich die Satiriker des Gröfaz bemächtigt. Der Journalist Timur Vernes ließ den Hundefreund in seinem Buch "Er ist wieder da" in Berlin auferstehen und im heutigen Deutschland die nächste unheilvolle Karriere starten. "Er ist wieder da" wurde über zwei Millionen Mal verkauft und okkupierte den Spitzenplatz in der "Spiegel"-Bestsellerliste satte 20 Wochen. Selbstredend wurde das Buch verfilmt.

Doch während sich "Er ist wieder da" den Schnauzbartträger aus Braunau mit Ironie bis hin zur Comedy vorknöpft, wählt Hummel einen anderen Ansatz. Sein Hitler ist ein durchtriebener Manipulator, der jederzeit in den Blutrausch abdriften kann. Im Gespräch mit unserer Zeitung nennt Hummel ein wichtiges Motiv für sein ungewöhnliches Werk: persönliche Rache. Er habe als Kind nahe eines Nazi-Flugplatzes in Lechfeld bei Augsburg gelebt. "Während der Bombenangriffe saßen wir angsterfüllt im Keller und als wir rauskamen, brannten alle Häuser." Dieses Kindheitstrauma habe ihn gut 70 Jahre später zu seinem Buch inspiriert.