"Strudel aus Lügengeschichten"

24.02.2011 | Stand 03.12.2020, 3:07 Uhr

Staatsanwalt Ralph Reiter ist davon überzeugt, dass Rudolf Rupp in der fraglichen Nacht 2001 nach Hause kam - Foto: Peterhans

Landshut (DK) Siebeneinhalb Jahre Haft für die Angeklagten Hermine Rupp und Matthias E.: Das ist die Forderung des Staatsanwalts im Wiederaufnahmeverfahren um den Tod des Neuburger Bauern Rudolf Rupp am Landshuter Landgericht. Die Verteidiger plädierten gestern dagegen auf Freispruch.


"Es ist in diesem Verfahren nicht alles optimal gelaufen", bilanzierte Staatsanwalt Ralph Reiter gleich zu Beginn seines Plädoyers. Doch für ihn steht fest, was in der Nacht vom 12. auf den 13. Oktober 2001 mit Rudolf Rupp nach dem Besuch der BSV-Sportgaststätte in Neuburg passiert ist: Der betrunkene Landwirt kam nach Hause und wurde von seiner Frau Hermine die Treppe hinuntergestoßen.

Als das Opfer am Treppenabsatz auf dem Rücken lag, prügelten laut Reiter Hermine und ihr Schwiegersohn in spe, Matthias E., auf den Bauern ein. Wohl im Halsbereich – eine der wenigen übrig gebliebenen möglichen Tötungsursachen nach dem Obduktionsbericht. Wer genau wie zugeschlagen habe, könne offen bleiben, so der Staatsanwalt. Fest steht für ihn die gemeinschaftliche Tatausführung.

Ein Motiv, den Bauern umzubringen, hätten beide gehabt. So sei Matthias E. von dem Landwirt auf dem Hof nicht geduldet gewesen. Hermine habe längst keine emotionale Bindung mehr zu ihrem Mann gehabt. Sie habe, um ihren Lebensstil zu finanzieren, weitere Grundstücke verkaufen wollen – doch dabei habe ihr der Mann im Weg gestanden. "Beiden wäre es recht gewesen, wenn Rudolf Rupp von zu Hause weggekommen wäre", resümierte der Staatsanwalt.

Die Töchter seien wohl nicht an der Tat beteiligt gewesen. Vermutlich hätten sie das Geschehen mitbekommen, seien aber bei der Leichenbeseitigung nicht dabei gewesen. Sie hätten nicht gewusst, ob der Vater vielleicht doch noch gelebt habe und sich in ihrer Hoffnung an jeden Strohhalm geklammert. Deswegen hätten sie auch die fiktiven Briefe an Rudolf Rupp geschrieben, in denen sie immer wieder fragen, wo er sei und dass er bitte wieder heimkommen solle.

Ein Selbstmord Rupps sei laut Reiter praktisch ausgeschlossen. Dagegen spreche nicht nur die Analyse des Landgerichtsarzts Hubert Haderthauer, sondern auch, dass in Rupps Mercedes, als er im März 2009 aus der Donaustaustufe Bergheim gezogen wurde, kein Schlüssel im Zündschloss gesteckt habe. Außerdem habe die im Wagen aufgefundene Leiche des Bauern keine Schuhe angehabt. Ein Abschiedsbrief sei nicht gefunden worden.

Die zahlreichen falschen, mehrfach widerrufenen Geständnisse der Angeklagten, in denen auch die Version von der zerstückelten und an die Hofhunde verfütterten Leiche auftaucht, weswegen sie 2005 verurteilt wurden, erklärte Reiter damit, dass sie in einen "Strudel aus Lügengeschichten" geraten seien. Als klar gewesen sei, dass Rupp am entscheidenden Abend nach Hause gekommen sei, hätten sie mit immer neuen Lügen die vorhergehenden zu begründen versucht.

Der Staatsanwalt forderte, die ältere Rupp-Tochter vom Vorwurf der Beteiligung durch Unterlassen freizusprechen. Eine Haftentschädigung könne ihr aber nicht zugesprochen werden. Das Verfahren gegen die jüngere Tochter war wegen ihrer Schwangerschaft bereits vor einigen Wochen abgetrennt worden. Für Hermine Rupp und Matthias E. forderte Reiter wegen gemeinschaftlichen Totschlags jeweils siebeneinhalb Jahre Haft.

Die Verteidigung sah das gänzlich anders. Auf ihre Mandanten sei von den Ermittlern Druck ausgeübt worden. "Das muss nicht durch glühende Zangen geschehen", sagte der Anwalt von Matthias E., Bernd Scharinger. "Das geht auch durch subtile Maßnahmen." Die Angeklagten hätten außerdem gleich bei der ersten Hausdurchsuchung 2004 als Beschuldigte und nicht als Zeugen belehrt werden müssen. Denn: "Staatsanwalt Veh war überzeugt, dass er die Richtigen hat", sagte Scharinger mit Blick auf den Ankläger im ersten Prozess. Dreh- und Angelpunkt im Fall Rupp sei, ob der Bauer am fraglichen Abend nach Hause gekommen sei. "Und das können Sie nicht beweisen", sagte Scharinger an den Staatsanwalt gewandt. Für ihn sei auch ein Selbstmord denkbar. Schließlich habe Rudolf Rupp unter Diabetes gelitten, und ihm sei eine Haftandrohung zur Abgabe einer eidesstattlichen Versicherung ins Haus geflattert. Auch ein zufälliger Unfall des Bauern sei nicht auszuschließen.

Regina Rick, Verteidigerin der älteren Rupp-Tochter, erklärte, der Fall sei ein anschauliches Beispiel dafür, "dass alles falsch gemacht wurde, was falsch gemacht werden kann". Sie verwies darauf, dass Hermine Rupp ein halbes Jahr nach dem Verschwinden ihres Mannes die Polizei angerufen habe, weil sie sein Auto gesehen haben wollte. Vor dem Hintergrund, dass damals kein Ermittlungsverfahren gegen sie gelaufen sei, sei es grotesk von der Polizei, zu behaupten, sie habe hier eine falsche Spur legen wollen.

Die Anwältin wies darauf hin, dass an jenem Vormittag, an dem die ersten Geständnisse von den Angeklagten abgelegt wurden, ein Großteil der Gespräche nicht dokumentiert worden sei. Außerdem betonte sie im Hinblick auf das Plädoyer des Staatsanwalts, dass es in keinem der Geständnisse "auch nur annähernd" eine Version gebe, in der von Schlägen auf die Halsregion die Rede sei. Dass in Rupps Mercedes die Sterbeurkunde seiner Mutter und ein Schreiben vom Finanzamt gefunden wurden, wertete Rick als Zeichen für einen Suizid.

Der polizeiliche Hauptermittler habe sich ihrer Meinung nach in eine Krankheit geflüchtet. Bei einer Vernehmung vor Gericht hätte laut Gutachten "die Gefahr einer Reaktivierung einer schweren depressiven Symptomatik" bestanden. Vor allem dann, wenn er sich infrage gestellt und kritisiert fühle. "Wer hat sich um die Traumatisierung meiner Mandantin Gedanken gemacht", fragte die Anwältin.

Rick, Scharinger sowie Klaus Wittmann, der Anwalt von Hermine Rupp, forderten für ihre Mandanten einen Freispruch sowie eine Haftentschädigung. Für alle Angeklagten käme insgesamt schätzungsweise eine Summe von an die 100 000 Euro zusammen.

Egal, wie das für heute angekündigte Urteil ausfällt – ins Gefängnis müssen die Angeklagten nicht mehr. Sie hätten ihre Strafe bereits abgesessen.