Neuburg
"Berge von Lügen" verwirren die Ermittler

17.10.2010 | Stand 03.12.2020, 3:34 Uhr

Das Haus der Familie Rupp in Heinrichsheim: Nach ein paar Bier im Sportheim kam Rudolf Rupp nicht hierher zurück. - Foto: Rein

Neuburg (DK) "Richtig theatralisch hat sie ihren Mann als vermisst gemeldet". Der frühere Neuburger Polizeichef erinnert sich genau an jenen Tag im Oktober 2001, als Hermine Rupp auf der örtlichen Dienststelle vorsprach.

Der 52-jährige Ehemann trank sechs bis acht Halbe Bier im Sportheim des BSV Neuburg und kam dann aber nicht nach Hause.
 

In den folgenden zwei Jahren suchte die Polizei immer wieder mal mit einem Hubschrauber die Donau und ihre Auwälder zwischen Ingolstadt und Neuburg ab – der verschollene Landwirt und sein Mercedes mussten doch irgendwo sein. Alles Suchen blieb erfolglos. Spezialisten des Landeskriminalamtes probierten dann einen anderen Denkansatz: Vielleicht ist Rudolf Rupp gar nicht weggefahren, vielleicht ist ihm im eigenen Wohnhaus etwas passiert.

Am frühen Morgen des 13. Januar 2004 überraschte ein Polizeiaufgebot die Familie in ihrem Stockhaus in Heinrichsheim. Ausgestattet mit einem Durchsuchungsbefehl durchkämmten die Ermittler das vermüllte Anwesen und vernahmen die vier Familienmitglieder einzeln. Nach wenigen Stunden gaben sowohl die Ehefrau wie auch die beiden jungen Töchter zu, dass der Vater daheim zu Tode gekommen sei. Nach einem Streit sei er die Kellertreppe hinuntergestürzt und habe sich nicht mehr gerührt. "Später haben wir ihn weggefahren und mit dem Auto in einem Weiher versenkt", gab die Ehefrau zu Protokoll. Es sollte ihr erstes und letztes Geständnis bleiben.

Nachdem Rechtsanwälte ihre Verteidigung übernommen hatten, zogen die Verdächtigen ihre Aussagen zurück und widerriefen alle Geständnisse. Das blieb so bis zum Strafprozess, bis zum Urteil und eigentlich bis heute. Nur ein einziges Mal brach der als Haupttäter beschuldigte Matthias E. sein Schweigen: Im April 2004 legte er nach drei Monaten in Untersuchungshaft ein umfassendes Geständnis ab. Der damals 20-jährige Neuburger gab zu Protokoll, dass er in der Nacht zum 14. Oktober 2001 Rudolf Rupp nach der Heimkehr im Streit mit einem Kantholz und einem Maurerhammer erschlagen habe.

Die Kriminalpolizei wertete das Geständnis als Durchbruch. Doch die erschreckenden Ausführungen des 20-Jährigen zur Beseitigung des Leichnams ließen schon damals Zweifel aufkommen. Matthias E. erzählte ausführlich, wie er den Körper im Keller des Hauses zerstückelt und im Laufe von Wochen den Hunden vorgeworfen habe. Diese Version war frei erfunden. Die Anwälte halten den Ermittlern heute vor, die Aussagen dem Hauptverdächtigen in den Mund gelegt zu haben. "Die Vernehmungen waren zeitweise skandalös", behauptet Strafverteidigerin Regina Rick.

Der Überraschungscoup der Polizei vom 13. Januar 2004 war ein Erfolg. Doch in den folgenden Wochen und Monaten schwand die Hoffnung auf eine restlose Klärung des Tötungsdeliktes. "Die haben gelogen, wenn sie den Mund aufgemacht haben", erinnert sich ein Hauptkommissar aus der Sonderkommission an die Befragungen der Rupp-Familie. Letztlich stützten sich die Ermittler auf die allerersten Geständnisse. Sie bildeten ein Hauptindiz für die spätere Verurteilung wegen gemeinschaftlichen Totschlags zu achteinhalb Jahren Haft für die Ehefrau und den 20-jährigen Freund.

Nach dem Leichenfund und der Weigerung der Staatsanwaltschaften Ingolstadt und Landshut, den Fall neu zu bewerten, brach eine wahre Medienflut auf die Justiz ein. Magazine wie "Spiegel" und "Focus" hielten ihr vor, neue Erkenntnisse zu ignorieren. Hinweise oder Spekulationen, Rudolf Rupp könnte selber seinen Mercedes in den Stausee rollen lassen, entbehren allerdings jeglicher Grundlage. In keiner einzigen Phase der Ermittlungen gab es einen Hinweis auf Suizid. Der Landwirt sei zwar verschuldet gewesen, "doch zu einem Selbstmord wäre er nie fähig gewesen", da sind sich die Nachbarn in Heinrichsheim sicher.

Unmittelbar nach der Bergung des Mercedes im März 2009 hatte es geheißen, die Überreste von Rudolf Rupp hätten sich eindeutig auf dem Beifahrersitz befunden. Das Fenster der Fahrertür war heruntergedreht und geöffnet. Eine kriminaltechnische Rekonstruktion ergab aber später, dass der Mann im Mercedes wohl mit dem Rücken zum Steuer auf dem Fahrersitz gesessen hatte. War Rudolf Rupp gar nicht tot, als der Wagen in die Donau rollte? Hatte er noch verzweifelt versucht, aus dem Mercedes herauszukommen?

"Er hat ein Recht auf ein kirchliches Begräbnis", sagte Pfarrer Johannes de Fallois am 2. April 2009 am Grab von Rudolf Rupp in Heinrichsheim. Nur die Schwester und allernächsten Verwandten nahmen an der Beerdigung teil, die Ehefrau und die beiden Töchter nicht. Der evangelische Pfarrer sprach Gebete und steckte das Holzkreuz in die Erde. Die Inschrift blendet den Todeszeitpunkt und die folgenden Ereignisse aus. Auf dem Kreuz steht "Rudolf Rupp 1949-2009".

Der dritte Teil der Serie erscheint in unserer morgigen Ausgabe.