Notfallplan im Winter

Regierung will Unterkünfte für 30 000 Flüchtlinge bereithalten

21.10.2014 | Stand 02.12.2020, 22:05 Uhr

München (dpa/DK/epd) Die Staatsregierung will vorsichtshalber Notunterkünfte für bis zu 30 000 Flüchtlinge bereithalten. Staatskanzleichef Marcel Huber (CSU) betonte gestern nach der Kabinettssitzung aber, die Staatsregierung rechne nicht damit, dass tatsächlich so viele Menschen eintreffen.

Die erste Stufe des Notfallplans sieht vor, dass zunächst in jedem der 71 Landkreise und in jeder der 25 kreisfreien Städte Bayerns provisorische Unterkünfte mit Klappbetten für jeweils 200 bis 300 Flüchtlinge zur Verfügung stehen. Gedacht ist dabei vor allem an Mehrzweckhallen. Jede der 96 Kommunen hat den Angaben zufolge nun zwei Wochen Zeit, eine geeignete Notunterkunft zu suchen.

In diesen Notunterkünften sollen Flüchtlinge maximal fünf Wochen bleiben. Die zweite Stufe des Notfallplans sieht vor, dass die Kreise und Städte Grundstücke nennen, auf denen Containersiedlungen gebaut werden können. Dort sollen die Flüchtlinge dann zwei bis drei Monate bleiben. In der dritten Stufe sind Fertighäuser geplant, die innerhalb weniger Wochen aufgebaut werden können und in denen Flüchtlinge notfalls für einige Jahre untergebracht werden sollen. „Es handelt sich um einen Notfallplan für ein Szenario, das niemand auf der Welt vorhersehen kann“, sagte Huber.

Der Staatskanzleichef meldete zudem erste Erfolge des Asyl-Krisenstabs der Staatsregierung bei der Bewältigung der Unterbringungsprobleme in München. In der in der vergangenen Woche hoffnungslos überfüllten Bayernkaserne seien derzeit noch 2000 Menschen untergebracht, nicht mehr 2400. „Ich glaube nicht, dass wir schon alles im Griff haben, aber wir haben die Schwachstellen gefunden.“

Die Zahlen weichen allerdings von den Angaben der Stadt München ab. Einem Sprecher zufolge gelte der in der vergangenen Woche verhängte Aufnahmestopp für neue Flüchtlinge weiter: Am Montagabend seien rund 1700 Flüchtlinge in der Kaserne im Norden der Landeshauptstadt untergebracht gewesen. Ausgelegt ist die Erstaufnahmeeinrichtung allerdings nur für 1200.

Neben der Unterbringung will die Staatsregierung die medizinische Versorgung der Flüchtlinge verbessern. Bisher dürfen Asylbewerber nicht einfach zum Arzt gehen. Stattdessen müssen sie vorher einen Krankenschein beim Sozialamt beantragen. Laut Asylbewerberleistungsgesetz des Bundes werden Asylbewerber im Regelfall nur bei akuten Erkrankungen behandelt. Abgesehen davon sind „medizinische Leistungen“ für werdende Mütter vorgesehen, ebenso bei Vorsorgeuntersuchungen und Impfungen. „Die Menschen, die kommen, kommen nicht aus dem Urlaub, sondern die haben eine Flucht hinter sich“, sagte Huber. Viele seien in schlechtem Gesundheitszustand. Die Staatsregierung wolle deshalb in den Flüchtlingsunterkünften ein „festes medizinisches Angebot institutionalisieren“. Ein entsprechendes Modellprojekt läuft derzeit in der Unterkunft in Eichstätt an. Hier bieten örtliche Mediziner Sprechstunden an, die dann über ein Stundenhonorar abgerechnet werden.

Mehr als die Hälfte der heuer nach Bayern gekommenen Flüchtlinge stammt nach den Zahlen des Sozialministeriums aus fünf Ländern, in denen seit Jahren oder sogar Jahrzehnten Krieg herrscht: Syrien, Nigeria, Eritrea, Afghanistan und Somalia.

Mit dem Versprechen einer besseren Gesundheitsversorgung kommt die Staatsregierung in diesem Punkt einer langjährigen Forderung der Opposition und des Bayerische Flüchtlingsrats nach. Der Flüchtlingsrat forderte Mindeststandards für die Unterbringung von Flüchtlingen und Kontrollen der privaten Unterkünfte.

Der Verband prangerte gestern auch Missstände vor allem in ländlichen privaten Unterkünften an – angefangen von Schikanen durch Hausmeister über sexuelle Belästigung bis zu Willkürentscheidungen einzelner Behördenmitarbeiter. Als Beispiele für Schikanen nannte Alexander Thal vom Flüchtlingsrat unter anderem einen ehemaligen Gasthof im unterfränkischen Mönchberg (Kreis Miltenberg), in dem den Flüchtlingen die Benutzung der großen Küche verboten worden sei. Nach einer Beschwerde darüber habe ein Mitarbeiter des Sozialamts mit Abschiebung gedroht, in einem anderen Fall sei einem Mann ein Krankenschein verweigert worden.

In einem anderen Gasthof werde der Hausmüll im Keller gelagert und nur alle zwei Wochen geräumt, so dass das Haus bestialisch stinke. In weiteren Heimen würden die für Gemeinschaftsunterkünfte vorgeschriebenen sieben Quadratmeter Platz pro Person nicht eingehalten. „Das sind rechtsarme Räume“, sagte Flüchtlingsratmitarbeiter Matthias Weinzierl. „Für jeden Kindergarten gibt es Standards, aber eine solche Unterkunft kann jeder aufmachen.“