Ingolstadt
Wo bitte geht’s zur Energiewende?

12.06.2015 | Stand 02.12.2020, 21:12 Uhr
Umstrittene Masten: Die Bürgermeister im Landkreis Neumarkt wehren sich weiterhin gegen die geplante Stromtrasse. Bereits jetzt ziehen sich mehrere Stromleitungen durch die Region, hier ein Mast bei der Stadt Dietfurt. −Foto: Janda

Ingolstadt (DK) Wie sieht der weitere Kurs zur Energiewende aus? Ihn zu bestimmen gleicht wohl der Aufgabe, den gordischen Knoten zu lösen. Ministerpräsident Horst Seehofer (CSU) spricht von einer Jahrhundertentscheidung und rät zu Geduld.

Bei der Energiewende kann man zurzeit leicht die Orientierung verlieren. Widersprüchliche Aussagen der Politiker wie zum Thema Kohlestrom. Schreckensszenarien, aktuell seitens der Energie- und Wasserwirtschaftsverbände an die Wand gemalt, dass der Industrie eines Tages der Saft auszugehen droht, wenn in Berlin nicht bald Entscheidungen getroffen werden. In den zahlreichen Bürgerinitiativen sitzen mittlerweile regelrechte Fachleute, die ihre Interessen verteidigen – und zwar höchst energisch.

So wie Max Dorner. Der Großhöbinger Ortssprecher und SPD-Stadtrat ist Experte der Stadt Greding (Landkreis Roth) in Sachen Süd-Ost-Trasse. „Momentan ist die Situation sehr diffus“, sagt er. Das Reizwort für ihn lautet „Bündelung“. Zur Erklärung: Netzbetreiber Amprion möchte durch Bündelung bestehender Trassen (Bahnstrecken, Autobahnen und 110-kV-Leitungen) und geplanter Gleichstromtrassen die Eingriffe in die Landschaft reduzieren. Dorner kritisiert, dieses Vorgehen treffe wieder diejenigen, die ohnehin schon belastet seien. „Das macht mich wütend.“ Großhöbing liegt im Schwarzachtal. „Unser Dorf ist eingezwängt, trotzdem haben wir eine Autobahn, eine ICE-Strecke und eine 110-kV-Leitung. Bei uns wird alles kaputt gemacht“, erklärt Dorner. „Deshalb kämpfe ich leidenschaftlich für meine Heimat.“

Wie Großhöbing liegt auch die Gemeinde Walting (Landkreis Eichstätt) im malerischen Naturpark Altmühltal. Josef Bauer ist Pressesprecher der dortigen Bürgerinitiative und beklagt, bei der Energiewende habe man den Zug verpasst. „Die neuen Technologien müssten umgesetzt werden, etwa Energiespeicher oder Power-to-Gas-Anlagen, dann kriegt man alles in den Griff.“ Die Versorgungssicherheit sei auch ohne neue Stromtrassen gewährleistet, davon ist Bauer überzeugt. „Ich schaue lieber auf Windräder als auf Masten.“ Er hätte sich einen bundesweiten Energiedialog ge-wünscht, nach dem Vorbild Bayerns, meint Bauer. „Seehofer soll standhaft bleiben. Auch wenn viele sagen, er sei ein Dreh- hofer – ich unterstütze ihn, denn es ist besser, seine Meinung zu ändern als an einer falschen festzuhalten.“

Ministerpräsident Seehofer mahnte diese Woche bei einem Termin in Ingolstadt Besonnenheit an: „Solche Jahrhundertentscheidungen, die für Generationen maßgeblich sind, müssen mit Geduld und Sorgfalt getroffen werden.“ Außerdem sagte er noch: „Der Ostlink scheint Geschichte zu sein.“

Es klang ganz anders, als Vertreter des für die Süd-Ost-Passage zuständigen Netzanbieters Amprion kürzlich in Ingolstadt ihre Sicht der Dinge darlegten. Die alten Trassenpläne seien zwar vom Tisch, wurde eingeräumt. Nicht aber das Projekt als solches. Amprion-Sprecher Thomas Wiede rechnete mal vor: Die Produktionskosten für Strom aus Windkraftwerken betragen fünf bis sechs Cent je Kilowattstunde, bei neuen Gaskraftwerken zwölf Cent – also doppelt so viel. „Das ist eine Entscheidung der Politik.“

Von den bundesweit 90 Vorhaben der großen Netzbetreiber hat die Bundesnetzagentur laut Pressesprecherin Steffi Thiele derzeit 60 als „bestätigungsfähig“ eingestuft – darunter die als „Monstertrassen“ verschrienen Südlink und Süd-Ost-Passage, die Strom nach Bayern bringen sollen, wenn die Atomkraftwerke abgeschaltet werden. Die sogenannte öffentliche Konsultation des zweiten Entwurfs für die Gleichstromtrassen endete am 15. Mai. Etwa 30 000 Stellungnahmen seien eingegangen, berichtet Thiele. „Manche Bürger haben nur eine Postkarte geschickt, es kamen aber auch 100-seitige Gutachten. Unsere Techniker versuchen jetzt, eine Entscheidungsgrundlage zu erstellen, aber aufgrund der Masse wird es eine Bestätigung erst im Sommer geben.“

Nächste Woche wollen sich Seehofer und Wirtschaftsminister Sigmar Gabriel (SPD) zu einem Vier-Augen-Gespräch treffen.