Eichstätt
Das große Englisch-Experiment

20.02.2015 | Stand 02.12.2020, 21:37 Uhr

−Foto: Daniel Bockwoldt (dpa)

Eichstätt (DK) Revolution des Sprachenlernens oder falscher Ansatz? Der Modellversuch zum bilingualen Unterricht an 20 bayerischen Grundschulen spaltet die Gemüter. Vom kommenden Schuljahr an sollen die teilnehmenden Schüler von der ersten bis zur vierten Klasse in „möglichst vielen Fächern“ auf Englisch unterrichtet werden, erklärt Heiner Böttger, Leiter der Professur für Englischdidaktik an der Katholischen Universität Ingolstadt-Eichstätt, die das Projekt wissenschaftlich begleitet.

80 Schulen haben sich laut Böttger für das Projekt beworben. Davon werden 20 noch im Februar ausgesucht, sagt das bayerische Kultusministerium, das jeder teilnehmenden Schule zwei zusätzliche Lehrerstunden pro Woche zur Verfügung stellt.

Die Stiftung Bildungspakt Bayern, die den Modellversuch durchführt, finanziert laut Ministerium die Fortbildung der Lehrkräfte sowie die wissenschaftliche Begleitung. Wie viel das kosten wird, könne man noch nicht sagen, sagt Sprecherin Cindy Zavrel.

Böttger ist von dem bilingualen Versuch begeistert. Zahlreiche Studien hätten bewiesen, dass Schüler, die an fremdsprachlich geführtem Sachfachunterricht teilgenommen haben, den in Deutsch Unterrichteten bei der Kommunikationskompetenz deutlich überlegen waren. „Die Kinder lernen mehr, wenn wir ihnen ein Prinzip in einer anderen Sprache erklären, statt sie mit Vokabeln und Wiederholungen zu langweilen“, sagt Böttger. „Man darf Kinder nicht unterschätzen.“

Klar ist: Sollte der Versuch in Bayern erfolgreich sein, wird er die Art des Lernens in den Grundschulen vollkommen verändern. Bei dem Projekt sollen ausgebildete Lehrkräfte den Schülern zum Beispiel im Sachkunde-Unterricht erklären, wie ein Wasserzyklus funktioniert. „Dabei können sie dann Wasser erhitzen, Dampf aufsteigen lassen und das Ganze auf Englisch erklären.“ Unterricht zum Anfassen, findet Böttger.

Heinz-Peter Meidinger, der Vorsitzende des deutschen Philologenverbandes, hält das Konzept trotzdem für „Etikettenschwindel“, weil die Lehrkräfte gar nicht genug ausgebildet seien. „Lehrer an Gymnasien sagen mir oft, dass sie sich selbst erst das Fachvokabular aneignen müssen.“ Um beispielsweise den Geschichtsunterricht auf Englisch zu meistern, müsse die Lehrkraft aber in beiden Fächern fit sein.

Genau das sei in dem Projekt der Fall, sagt Böttger. „Alle Lehrkräfte im Versuch werden in der Regel universitär ausgebildet sein und sind zusätzlich englischsprachig ausgezeichnet.“ Zusätzlich soll es im Frühjahr Fortbildungen geben. Doch auch Böttger sieht bei der Ausbildung der Lehrkräfte im regulären Grundschul-Englischunterricht ein Problem: „Wir sind momentan in der Zwischenzeit.“ Viele Lehrer seien nur nachqualifiziert. „Diese Kollegen sind sehr bemüht, aber trotzdem ersetzt die Nachqualifizierung kein ganzes Studium.“

Meidinger hat noch ein weiteres Problem mit dem Projekt. „Die Schüler verstehen in den anderen Fächern nicht so viel wie auf Deutsch“, sagt er. So würden gute Schüler überproportional davon profitieren, während schlechte Schüler eher abfielen.

Böttger vermutet einen ganz anderen Effekt: Er glaubt, dass der bilinguale Unterricht gerade für lernschwache Schüler von Vorteil ist. „Lernschwache Schüler können durch das Zeigen von Bildern und das Anfassen von Dingen besser begreifen als beim vermittelnden Frontalunterricht.“ Diesen Aspekt werde sein Team bei dem Modellversuch auf jeden Fall genau untersuchen.

Doch Meidinger findet, dass die Prioritäten falsch gesetzt werden. „Jetzt wird der bilinguale Unterricht draufgesattelt, das geht dann von den anderen Fächern ab.“ Viel dringender bräuchten die deutschen Grundschulen aber mehr Deutschunterricht. Das sei vor allem für die Schüler mit Deutschschwächen wichtig. „So wird die soziale Schere weiter aufgehen.“

Auch Günther Felbinger, bildungspolitischer Sprecher der Freien Wähler im bayerischen Landtag, findet, dass die Muttersprache vorgehen sollte: „Die Schüler sollten erst einmal richtig Deutsch lernen.“ Es gebe Studien, die belegten, dass viele Kinder Defizite in Deutsch hätten.

Das bezweifelt auch Sprachexperte Böttger nicht. Er verweist allerdings auf wissenschaftliche Erkenntnisse, die zeigen, dass Migranten, die ja oft Probleme mit Deutsch haben, diese für sie zusätzliche Sprache am besten lernen, wenn sie ihre Muttersprache perfekt beherrschen. „Die Muttersprache ist die Referenz, sie muss komplett aufgebaut sein.“ Die als zweites erlernte Sprache könne immer nur so gut sein wie die Muttersprache. Daher sei es auch fatal, wenn in Migrantenfamilien Eltern zu Hause mit ihren Kindern schlechtes Deutsch sprechen statt die Muttersprache. Deutsch lernten die Kinder mit Migrationshintergrund dann einfach, indem sie mit ihrem sozialen Umfeld Zeit verbringen. Auch jede weitere Sprache werde so an den bereits erlernten Sprachen gespiegelt. „Bei Englisch hat man den Vorteil, dass das die Kinder- und Jugendkultur ist. Die Kinder wollen das lernen.“