München
"Die Freiheit stirbt scheibchenweise"

Opposition im bayerischen Landtag übt harsche Kritik neuem Polizeiaufgabengesetz

10.04.2018 | Stand 23.09.2023, 2:53 Uhr
Eva Gottstein (Freie Wähler) hält das neue Gesetz für zu weitgehend. −Foto: Leonhardt/dpa

München (DK) Nichts weniger als die Bürger- und Freiheitsrechte sehen die Grünen im neuen Polizeiaufgabengesetz (PAG) bedroht, das die CSU bis Mitte Mai beschließen will: "Die Freiheit stirbt scheibchenweise, und die CSU ist dabei, eine große Scheibe der Freiheit abzuschneiden", donnerte gestern die Fraktionschefin der Grünen, Katharina Schulze, im Münchner Landtag.

"Freiheit verteidigen, Bürgerrechte schützen, Überwachungsgesetz stoppen" lautete das von den Grünen gesetzte Thema. Man müsse die Freiheit verteidigen, so Schulze - gegen Terroristen, gegen Autokraten "und gegen die CSU".
Besonders an der Erlaubnis, bereits bei "drohender Gefahr" tätig werden zu dürfen, scheiden sich die Geister. Kritiker, wie Schulze, sehen darin eine unangemessene Generalvollmacht für die Polizei. Dabei war die "drohende Gefahr" bereits in einer kleinen Novelle des PAG im vergangenen Jahr eingeführt worden. "Drohende Gefahr heißt nicht, dass kein Verdacht mehr vorliegen muss, sondern kurz gesagt: Es braucht tatsächliche Anhaltspunkte, wonach aufgrund eines konkretisierbaren Geschehens Angriffe von erheblicher Intensität oder Auswirkung absehbar sind, die zu Schäden an bedeutenden Rechtsgütern führen", steht dazu in einem Papier des bayrischen Innenministeriums.

Genannt wird darin auch ein Beispiel: "Der in seiner Ehre gekränkte Ehemann ist untergetaucht und hat angekündigt, seine Frau zu töten. Die Polizei darf Maßnahmen ergreifen, um die drohende Gefahr abzuwehren. Eine konkrete Gefahr liegt nicht vor, da die Polizei zu Ort und Zeit seiner Tat keine Erkenntnisse hat. " Bisher konnte die Polizei nur nach einer verübten Straftat (ermittelnd) tätig werden, präventiv nur bei "konkreter Gefahr". Künftig soll Bayerns Polizei schon bei "drohender Gefahr" beispielsweise jemanden in Gewahrsam nehmen können (wobei weiterhin "unverzüglich eine richterliche Entscheidung" herbeizuführen sei).

Neu ins PAG soll - wie von unserer Zeitung ebenfalls bereits ausführlich berichtet - die Erlaubnis zur DNA-Entnahme bei erkennungsdienstlicher Behandlung, die Befugnis zum Auslesen von DNA bei unbekannten Spurenlegern (und die Analyse von Geschlecht, Haut- und Augenfarbe, Herkunft). Neben den Daten aus Computern und Smartphones sollen künftig auch Daten in der Cloud sichergestellt werden können. Bild- und Tonaufnahmen mittels Bodycam sollen ermöglicht, ebenso Drohnen eingesetzt werden können. Präventiv soll es Postsicherstellungen geben (etwa nach Bestellungen im Darknet).

Und was den von Kritikern monierten Einsatz von Handgranaten und explosivem Sprengstoff angeht: Der steht schon lange im PAG, ist aber Sondereinheiten in bestimmten Situationen und einer gesonderten Freigabe bisher des Innenministers, künftig des Landespolizeipräsidenten vorbehalten. Künftig erlaubt sein soll "intelligente Videoüberwachung", etwa zur Gesichtserkennung. Das Innenministerium betont, dass im Gegenzug der Umgang mit Daten durch strengere Datenschutzvorgaben und eine Zentralstelle für Datenprüfung beim Polizeiverwaltungsamt gestärkt werde, und etwa der Einsatz verdeckter Ermittler, von Vertrauenspersonen oder längerer Observationen (anders als bisher) erst nach Richterentscheidung möglich sei.
Die Grünen erkennen indes einen "Angriff auf die Privatsphäre", einen "Eingriff in unserer Freiheit, der nicht zu rechtfertigen ist". Folge: Klage vor dem Verfassungsgericht. Die SPD sieht die Maßnahmen "ambivalent", wie Franz Schindler im Landtag sagte, und will dem PAG in der vorliegenden Form nicht zustimmen.

Eva Gottstein von den Freien Wählern erinnerte an die in der Nazizeit verlorenen Bürgerrechte, will das PAG "zeitgemäß machen", sieht es in der vorliegenden Form als zu weitgehend. Und Alexander Muthmann (FDP) befand, die Kontrollmechanismen hielten nicht Schritt mit der Ausweitung der polizeilichen Befugnisse. Hier würden nichts weniger als "die Koordinaten des Staates" geändert.

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Alexander Kain