Mopsfledermaus,
Muskulöses Multitalent

03.05.2016 | Stand 02.12.2020, 19:52 Uhr

Hommage an den Rennsport: Zahlreiche Funktionen lassen sich beim R8 vom Lenkrad aus steuern. Auch der Startknopf (rot) sitzt hier. - Foto: Audi

Mopsfledermaus, Würfelnatter und die europäische Sumpfschildkröte haben eines gemeinsam: Sie sind in Deutschland vom Aussterben bedroht. Entsprechend selten bekommt man sie zu Gesicht. Ein ähnlich rarer Anblick ist ein Audi R8 (zumindest außerhalb Ingolstadts). Gerade einmal 2000 Exemplare des Supersportwagens rollen jährlich vom Band. Wobei der Ausdruck "vom Band rollen" eigentlich so etwas wie Majestätsbeleidigung ist, denn die aktuelle Generation wird im neuen Werksgebäude in den Böllinger Höfen am Standort Neckarsulm gefertigt - größtenteils in Handarbeit.

Tatsächlich dürfte der R8 in dieser Form der letzte seiner Art sein. Ein Zehnzylinder-Saugmotor passt einfach nicht mehr in eine Zeit, in der nahezu jeder Unternehmenschef das Wort "Nachhaltigkeit" gefühlte dreimal in einem Satz erwähnt. Falls das nächste Modell nicht schon rein elektrisch fährt, dann dürfte es hybridisiert oder zumindest mit einem Turbolader ausgestattet werden. Schuld daran ist wohl weniger das Umweltbewusstsein der Käufer - sondern vielmehr die strengen CO2-Vorschriften. Selbst die aktuelle R8-Generation hat eine kleine Öko-Injektion bekommen: Auch wenn es bei einem so hochgezüchteten Auto fast schon wie ein Witz klingt - doch dieser Renner hat tatsächlich eine Start-Stopp-Automatik. Steht man also an der Ampel, geht der Motor aus.

Bei unserem Testwagen handelt es sich um die höchste Ausbaustufe des Supersportlers: den R8 V10 Plus mit 610 PS. Um das Auto zu genießen, braucht man aber noch nicht einmal den Motor zu starten. Es reicht zu schauen. Die Form ist absolut gelungen. Es gibt wenige Autos, die man in ein Design-Museum stellen könnte - der R8 gehört mit Sicherheit dazu. Der Mittelmotor residiert unter einer Glasscheibe - nachts ist das mächtige Aggregat sogar beleuchtet. Und wenn das Auto nach der Ausfahrt noch knistert, die warme Motorluft unter dem Spoiler hervorkriecht und es nach Reifengummi riecht, dann möchte man sich einen Klappstuhl und eine Schüssel Popcorn holen - und das alles noch ein wenig länger genießen.

So weit zu den sanften Seiten. Sobald der Daumen den feuerroten Startknopf auf dem Lenkrad drückt, ist es vorbei mit der Andächtigkeit. Für einen Augenblick vernimmt man das elektrische Orgeln des Anlassers, dann meldet sich die Maschine. Zur Begrüßung rotzt der R8 erst mal einen ordentlichen Gasstoß raus - was vor allem die Nachbarschaft in aller Herrgottsfrüh erfreut. Das kurze Aufbrüllen ist aber nur ein kleiner Vorgeschmack auf das, was in dem Aggregat steckt, das vor der Hinterachse sitzt.

Die Zehnzylinder-Bestie hat einen langen Atem: Erst bei 8700 Umdrehungen pro Minute läuft der Drehzahlmesser in den Begrenzer. Mit jeder Ziffer, die der digitale Zeiger auf dem Weg in Richtung roten Bereich passiert, verlagert sich das Motor-Konzert in höhere Tonlagen. Mit jeder Sekunde, in denen die Zylinder hinter dem Fahrer toben, schwitzen die Hände ein bisschen mehr. Ungewollt zucken die Mundwinkel erfreut nach oben, wenn der Motor beim Runterschalten aufröhrt und das Sprotzeln der künstlichen Fehlzündungen erklingt.

In 3,2 Sekunden sprintet der R8 auf 100 km/h, die 200-km/h-Marke ist bereits nach 9,9 Sekunden Geschichte. Die Höchstgeschwindigkeit liegt bei 330 km/h. Die zu erreichen ist aber wegen des Verkehrs auf Autobahnen nicht einfach. Bei unserem Testfahrzeug waren Ganzjahresreifen montiert, die nur bis 270 Stundenkilometer zugelassen sind. Bis dahin schaffte es der R8 (natürlich) spielend. Fast noch beeindruckender als die Beschleunigung ist aber die Verzögerung: Die Carbon-Keramik-Bremsen bringen den R8 souverän zum Stehen. Vor allem aber lassen sie sich hervorragend dosieren.

So viel Sportlichkeit zehrt natürlich an der Alltagstauglichkeit. Ein Wochenendausflug mit dem Boliden will gepäcktechnisch wohl geplant sein. Vorne unter der Haube ist Stauraum knapp. Eine kleine Reisetasche lässt sich aber hineinpressen. Etwas Stauraum findet sich auch noch hinter dem Fahrersitz, hier sind etwa zwei Handbreit Platz bis zur Rückwand. Wer mag, kann an dieser Stelle noch etwas Kleinkram oder Jacken und Pullis verstauen. Alternativ lässt man den Beifahrer einfach zu Hause und fährt allein ins Wochenende. Dann bietet der Beifahrersitz Platz für Gepäck.

Auch das formschöne Design hat seine Tücken. Wer an der Ampel ganz vorne steht, muss sich arg verrenken, um zu erkennen, ob es schon wieder grün ist. Grund: das langgezogene Dach. Und so lässig man auch mit dem R8 vorfährt - beim Aussteigen dürfte nur ein gelenkiges Mitglied des Cirque du Soleil cool aussehen. Zum einen muss man sich aus der Tiefe über den Schweller nach oben wuchten. Zum anderen wird der Ausstieg durch die extrem langen Türen erschwert. In engen Parklücken ist der Öffnungswinkel dadurch sehr eng.

Die fast frei schwebenden Klimaregler sind hübsch anzuschauen. Allerdings blockieren sie den Griff ins Smartphone-Ablagefach darunter. Wer nun Geldbeutel, Sonnenbrille und Telefon hier deponiert, kann froh sein, wenn er seine Hand wieder herausbekommt. Doch der R8 hat auch eine Eigenschaft, die ihm kaum jemand zutrauen würde: Ein Kindersitz ist in Windeseile auf dem Beifahrersitz montiert. Da tut man sich in manchem Kombi härter. Der Verbrauch blieb in unserem Test übrigens erstaunlich moderat: Etwas über 14 Liter Super Plus sind im Alltag für ein so hochgezüchtetes Fahrzeug durchaus respektabel. Vor allem, weil der R8 eben keinen Turbolader hat.

Wer auf die Rennstrecke will, nutzt den kleinen Drehregler mit der Zielfahne am Lenkrad. So trimmt man den R8 auf allerschärfste Gangart. Bleibt man im Automatik-Modus, fällt die Drehzahl nicht unter 4000 Umdrehungen. Außerdem kann der Fahrer zwischen verschiedenen Set-ups wählen: trocken, nass und Schnee. Für eine Landstraßenfahrt ist dieser Modus aber fast schon zu heftig. Ein weiterer Knopf am Lenkrad (mit einem Auspuffsymbol) steuert den Sound des R8. Schaltet man auf Sport, könnte man in einer Tiefgarage ahnungslose Passanten zu Tode erschrecken - was wir natürlich nicht gemacht haben.

Die traurige Nachricht kommt zum Schluss - wenn für die meisten natürlich nicht besonders überraschend: Der Testwagen steht mit rund 212 000 Euro und in der Liste. ‹ŒDK