Ingolstadt
"Die fairste Lösung wäre ein Zufalls-Algorithmus"

Ethische Entscheidungen beim autonomen Fahren: Experte Andreas Riener will Wertungen von Menschen vermeiden

02.10.2017 | Stand 02.12.2020, 17:24 Uhr

Audis Vision vom autonomen Fahren: Die Studie Aicon zeigten die Ingolstädter heuer auf der IAA in Frankfurt. - Foto: Audi

Ingolstadt (DK) Ein iPhone können selbst kleine Kinder benutzen - weil es sich sehr intuitiv bedienen lässt. Eine richtige Betriebsanleitung wird auch erst gar nicht mehr mitgeliefert. Bei Autos ist das anders: Dort liegt immer noch ein dickes Handbuch bei. Beim aktuellen 5er BMW sei das gut 350 Seiten stark, sagt Andreas Riener, Professor für Mensch-Maschine-Interaktion an der Technischen Hochschule Ingolstadt (THI). Auf allein 300 Seiten davon würden die unzähligen Assistenzsysteme erklärt. "Aber kaum jemand liest das", sagt der 41-Jährige. "Und das kann gefährlich werden - und im schlimmsten Fall zu einem Unfall führen". Wie riskant das inzwischen sei, zeigten einige Tesla-Unfälle, die nach Rieners Ansicht wohl nicht passiert wären, wenn die Nutzer das Handbuch gelesen hätten.

Das "ultimative Ziel" von Rieners Forschung ist deshalb eine intuitive Bedienung. "Es geht darum, sowohl Interessen aber auch Kenntnisse der Nutzer kennenzulernen und in die Systeme einfließen zu lassen", sagt der Experte. "Man muss auch Laien und weniger technikaffine Nutzer abholen."

Eine wichtige Rolle spielt dabei die Akzeptanz und das Vertrauen der Kunden. "Die beste Technologie bringt nichts, wenn niemand sie aufgrund von Misstrauen in die Technik kauft", sagt Riener. Und so beschäftigt er sich unter anderem mit ethischen Fragestellungen beim autonomen Fahren. Dabei taucht meist das sogenannte Trolley-Problem auf. Vereinfacht gesagt, geht es um die Frage: Wen soll ein autonom fahrendes Auto verletzen oder töten, wenn ein Unfall nicht mehr zu vermeiden ist? Ein Kind oder einen älteren Menschen? Eine einzelne Person oder eine Gruppe? Eine sehr heikle Thematik, die sich laut Riener nicht durch ein Bewertungsschema lösen lasse. Das besage auch der Bericht der BMVI-Ethik-Kommission für Automatisiertes und Vernetztes Fahren.

Im Rahmen einer Benutzerstudie hat Riener beispielsweise herausgefunden, dass zwar viele Autofahrer eher eine eigene Verletzung riskieren würden, als das ihr autonomes Auto ein Kind anfährt. Macht man den gleichen Test aber beispielsweise mit Japanern, resultiert das in einem gegensätzlich Ergebnis, wie ein Kollege von Riener festgestellt hat: Denn die schützen bevorzugt ältere Menschen, die in jenem Kulturkreis einen sehr hohen Stellenwert in der Gesellschaft haben. Aber am Ende muss es dennoch eine Entscheidung geben.

Was also tun? "Man muss einen sehr guten Algorithmus entwerfen, der das Opfer zufällig auswählt", sagt Riener. "Das wäre die fairste Lösung." Denn damit hätte mittelfristig jeder die gleiche Überlebenswahrscheinlichkeit. Auch wenn das den Leuten wohl schwer zu vermitteln sei.

Doch Riener und seine Studenten beschäftigen sich nicht nur mit ethischen Problemen. Derzeit wird auch an einer Bevölkerungsgruppe geforscht, die nach Rieners Ansicht derzeit beim autonomen Fahren noch wenig Beachtung findet: Senioren. "Heute geben diese Menschen oft den Führerschein ab, weil sie schlecht hören oder sehen", sagt Riener. Dabei seien das oft Personen mit viel Geld und ebenso viel Zeit, um so ein Produkt zu nutzen. "Ein Riesenmarkt."

Um diese Zielgruppe besser kennenzulernen, beschäftigt sich eine Studentin in Ihrer Abschlussarbeit mit den zukünftigen Anforderungen von Senioren an das autonome Fahren. Nachdem dieses aber noch einige Jahre entfernt ist, wäre es eigentlich besser, Menschen zu befragen, die die zukünftige Zielgruppe darstellen und aktuell um die 50 Jahre alt sind. Das Problem: Diese Menschen wissen natürlich nicht, wie es sich anfühlt, alt zu sein. Doch auch dafür hat sich schon eine Lösung gefunden: Die Probanden müssen einen Anzug tragen, der die Einschränkungen älterer Menschen simuliert. DK