Schrobenhausen
Die große Ratlosigkeit

20.11.2017 | Stand 02.12.2020, 17:11 Uhr

Schrobenhausen: Was löst das Scheitern von Jamaika im Schrobenhausener Land aus? Mit welchen Gefühlen haben örtliche Parteifunktionäre die Gespräche der vergangenen Tage in Berlin verfolgt? Ein kleines Stimmungsbild.

Oliver Brockmann, FDP-Kreisvorsitzender, Schrobenhausen: Es ist doch ein großer Tag für die Demokratie an sich. Schlechte Kompromisse bringen nichts, dann muss man eben akzeptieren, wenn es nicht passt. Es wird auf jeden Fall irgendwie weitergehen. Das ist aber nicht unsere Aufgabe. Angela Merkel ist geschäftsführende Bundeskanzlerin und sie hat es nicht geschafft, eine Koalition zusammenzubringen. Vielleicht sollte sich die Union eine neue Vorsitzende suchen. Die Grünen sind traurig, weil sie nicht ihre erhofften schönen Ministerposten bekommen werden. Die FDP gilt jetzt nicht mehr als Umfallerpartei oder Zünglein an der Waage. Wenn man andere Mehrheiten findet, kann man das auch ohne die FDP machen. Ich hatte eigentlich damit gerechnet, dass die CSU aus Jamaika aussteigt. Es scheint so, dass die CSU nicht das Rückgrat hatte, das Bündnis aufzukündigen. Die CSU war immer wahnsinnig stark und souverän in Bayern. Jetzt fällt sie in wenigen Wochen auf 36 Prozent zurück. Es liegt nicht an der Führung, sondern an der Partei, die sich seit Jahren nicht erneuert hat. Die CSU bekommt Druck von der AfD. Viele werden bei Neuwahlen sicher das radikale Original wählen - die AfD. Ich fände Ilse Aigner als Seehofer-Nachfolgerin sehr gut: Eine Frau an der Spitze, das wäre eine Erneuerung für die CSU. Ob Markus Söder funktioniert, ist für mich nicht gewiss, weil viele Seehofer-Anhänger ihn nicht wollen. Da wäre Aigner eine neutrale Alternative. Wir sind hier alle sehr zufrieden, wie das gelaufen ist.

 

Thomas Bauer, CSU-Landesschatzmeister, Schrobenhausen: Ich habe das mit einer hohen Wahrscheinlichkeit erwartet. Die kleineren haben die großen Parteien mit ihren Erwartungen überfordert. Die größte Überforderung gab es zum Schluss zwischen FDP und Grünen. Zwischen CDU/CSU und Bündnisgrünen waren alle Themen abgeräumt, und zwar so, dass alle damit leben konnten. Die FDP hat so hohe Forderungen gestellt, dass sie an ihren eigenen Forderungen gescheitert ist. Die Bundeskanzlerin hat die Gespräche souverän geführt, das wird auch von allen Seiten gesagt. Mein Fazit: Der Wähler hat gemeint, wenn man viele Parteien wählt, wird ein Zustand hergestellt, indem wieder Politik stattfindet. Man muss dem Wähler leider sagen, dass das nicht funktioniert. Das alles ist hochgradig frustrierend und für Deutschland sehr schädlich. Ich hoffe, dass Frank-Walter Steinmeier seine frühere Partei noch mal ins Gebet nimmt. Denn das Beste wäre es, wenn die SPD sich zu Koalitionsverhandlungen bereiterklären würde. Leider halte ich Neuwahlen für das wahrscheinlichste Szenario. Dass die CSU bundesweit unter fünf Prozent rutscht, halte ich nicht für wahrscheinlich. Die CSU hat die Menschen sehr verunsichert, das war nicht sehr klug. Wir müssen in der CSU sehr genau überlegen, wie wir das wieder hinbekommen.

 

Alfred Lengler, Kreisvorsitzender CSU, Gachenbach: Ich bin überzeugt, dass unser Landesvorsitzender in Berlin eine sehr gute Arbeit geleistet hat. Ich hoffe, dass das irgendwann die Basis mal wieder merkt und aufhört, auf dem Mann herumzuhacken. Das wird höchste Eisenbahn. Was die FDP da abzieht, weiß ich nicht. Wenn sich Cem Özdemir und Jürgen Trittin bei Horst Seehofer bedanken, dann hat das was. CSU und Grüne sind anfangs meilenweit voneinander weg gewesen, aber sie haben ihre politische Verantwortung wahrgenommen und versucht, etwas zu erreichen. Schade. Ich hoffe, dass der Bundespräsident noch mal die richtigen Worte findet, die Parteien zum Gespräch einlädt und sie noch mal an ihre Verantwortung erinnert, damit es vielleicht doch noch Jamaika geben kann. Eine große Koalition mit der SPD wird es nicht geben, auch eine Minderheitsregierung nicht. Die CSU hat eines starkgemacht: Vertrauen, Zusammenarbeit und Respekt. Daran sollen sich alle wieder erinnern, damit es wieder so wird.

 

Martin Wendl, Kreisvorsitzender von Bündnis 90/Die Grünen, Karlskron: Wir Grünen sind nicht nur über unsere Schatten gesprungen, wir haben uns auch kompromissbereit gezeigt. Was man von der FDP nicht sagen kann. Ich finde das traurig und schade. Der Verhandlungserfolg war zum Greifen nah. Aber natürlich funktioniert es nur, wenn alle einen Schritt aufeinander zugehen. Das hat die FDP nicht gemacht. Dabei hätte es jetzt die Chance gegeben, eine Regierung mit den besten Köpfen und Ideen aus den besten Lagern zu bilden. Wie es jetzt weitergehen soll? Wenn sich die SPD weiter verweigert, dann wird es keine Regierungsmehrheit geben. Von Neuwahlen halte ich grundsätzlich nicht viel.

 

Robert Huber, SPD-Ortsvorsitzender, Schrobenhausen: Überrascht bin ich insofern, dass es sich um einen Schachzug der FDP handelt, weil es ja offensichtlich alles vorbereitet gewesen sein soll. Es sah zuletzt nach Annäherungen aus. Mein Eindruck war, man wäre auf der Zielgeraden. Ich hätte eher damit gerechnet, dass die CSU mit Blick auf die Landtagswahl die Sondierungen platzen lässt. Was sich die FDP davon verspricht, weiß ich nicht. Bei Neuwahlen wird es für Union und FDP nicht für eine Koalition reichen. Entweder es war der geschickteste politische Schachzug aller Zeiten oder Christian Lindner hat sich gerade ganz böse ins Aus geschossen. Ob Horst Seehofer am Ende der Woche noch im Amt ist, ist die spannendste Frage. Mir persönlich ist es eigentlich egal, wer nach Seehofer für die CSU steht, nachdem sie alle für eine vollkommen andere Politik als die SPD stehen. Ich bin überzeugt davon, dass es nicht zu einer großen Koalition mit der SPD kommen wird. Die Gemeinsamkeiten sind aufgebraucht. Wenn es zu Neuwahlen kommt, wird die SPD mit für sie wichtigen Punkten antreten und dann soll der Wähler entscheiden. Die CSU hatte im September bundesweit 6,3 Prozent erreicht, je nachdem, wie sich die CSU aufstellt, werden AfD und Linke gestärkt aus der Wahl hervorgehen, und diese Prozente müssen ja irgendwoher kommen. Wenn die CSU mit Markus Söder oder Ilse Aigner jemanden präsentiert, der wählbar ist, könnte es für die CSU mit einem Verbleib im Bundestag klappen.

 

Thomas Wagner, Bürgermeister, Brunnen (CSU): Das macht die Sache nicht einfacher. Bundespolitisch wird es nicht einfach und was die Landespolitik angeht, ist schon vieles nicht einfacher. Ich finde eine Minderheitsregierung in Berlin nicht abwegig. Das kann funktionieren, auch wenn alle mitmachen müssen, wenn man etwas erreichen will. Neuwahlen, glaube ich, sind nicht gut, weil die kleineren Parteien, die um die zehn Prozent herumliegen, dabei nicht gut abschneiden werden. Die FDP hat mit den Sondierungsgesprächen auch einen Wählerauftrag platzen lassen. Das Wahlergebnis im September ist so ausgefallen, weil es unter den Menschen viele unterschiedliche Meinungen gibt, die die großen Parteien nicht mehr abbilden können. Wie es mit Horst Seehofer weitergeht, darüber werde ich nicht spekulieren. Seehofer hat in den vergangenen Jahren viel richtig gemacht.

 

Karlheinz Stephan, Bürgermeister, Schrobenhausen (CSU): Es hat mich überrascht, ich hatte schon gedacht, dass sie sich zusammenraufen. Auf uns kommt als Stadtverwaltung wieder eine zusätzliche Belastung zu: Wir werden in kürzester Zeit wohl zwei Wahlen organisieren müssen - eine neue Bundestagswahl im Frühjahr und im Herbst die Landtagswahl. Wir werden sehenden Auges in eine Regierungskrise hineingeraten, wie in den 70er-Jahren in Italien. Ich bin nicht darüber amüsiert, sondern verärgert. Der Wählerwille war am 24. September zum Ausdruck gebracht worden. Und dann habe ich die Erwartung, dass sich die Parteien dem Wählerwillen stellen. Ich hätte erwartet, dass alle einen Kompromiss finden. Doch sie drücken sich um die Verantwortung herum, damit bin ich nicht einverstanden. Neuwahlen sind doch so sicher wie das Amen in der Kirche. Eine Minderheitsregierung kann man doch knicken. Ich gehe nicht davon aus, dass die SPD wieder umkehrt und es eine große Koalition geben wird. Mich drückt die Sorge, dass wir bei Neuwahlen eine extrem niedrige Wahlbeteiligung bekommen werden. Wie lange wollen die uns denn zu den Wahlurnen bitten? Bis das Ergebnis passt? Wer mir dabei etwas leidtut, sind die Kandidaten hier vor Ort: So ein Wahlkampf zehrt schon ganz ordentlich an der Substanz, jetzt geht das Maikäferrennen wieder von vorne los. Wie bei Neuwahlen die Parteien abschneiden werden, bewegt sich im Raum der Spekulation. Da wird man bei jeder Partei Gründe finden können, um draufzuhauen. Daran beteilige ich mich nicht. Schrobenhausener Projekte wie die Reaktivierung unserer Geburtenstation werden nun auf die lange Bank geschoben. Der Brief geht dann aber an die nächsten Koalitionäre.

 

Peter Banzhaf, CSU-Ortsvorsitzender, Schrobenhausen: Ich finde es mehr als enttäuschend, dass die Parteien nach einer so langen Phase der Sondierung keine tragfähige Regierungskoalition zusammenbekommen. Ich habe nicht damit gerechnet, dass die FDP das platzen lässt. Union und Grüne hätten sich wohl in ihren strittigen Punkten noch einigen können. Es gibt eine Reihe von Optionen, was daraus jetzt entstehen kann. An Spekulationen darüber und über Horst Seehofer, Markus Söder oder Ilse Aigner möchte ich mich nicht beteiligen. Das ist noch zu früh.