Karlshuld
Eine Niere für ein besseres Leben

Erwin Piller hat seiner Frau Kathrin ein Organ gespendet

27.12.2013 | Stand 02.12.2020, 23:16 Uhr

 

Karlshuld (SZ) Viel zu viel Negatives werde über Organspenden berichtet, finden Erwin und Kathrin Piller. Dass Lebendorganspenden möglich seien und zudem eine sehr viel bessere Erfolgsquote aufwiesen, wüssten zu wenige. Erwin Piller hat seiner Frau eine Niere gespendet.

Um auf die Chancen der Lebendspende aufmerksam zu machen, erzählten die beiden der Schrobenhausener Zeitung ihre Geschichte. Als sich das Ehepaar im Jahr 2001 kennenlernte, war die damals 36-Jährige bereits schwer nierenkrank. „Ich wusste, dass die Dialyse kommen würde, aber wir haben trotzdem geheiratet“, erzählt Erwin Piller (46). Ein wahrscheinlich angeborener Harnleiterdefekt hatte seiner Frau schon in der Kindheit zugesetzt – ohne dass das damals erkannt worden wäre. „Ich galt halt als anfällig“, schildert sie die gängige Meinung von damals. 1965 sei eben nicht so intensiv untersucht worden wie heute. Die kleine Kathrin litt ständig unter Blasen- und Nierenbeckenentzündungen, mit drei Jahren wurde ihr der Blinddarm entfernt, weil sie stets über Bauchschmerzen klagte.

Erst 1997 schickte eine Freundin sie zu einem Urologen, der die Hände über dem Kopf zusammenschlug. Beide Nieren waren bereits geschrumpft, eine Harnleiter-OP konnte nur lindern, die Dialyse aber nicht dauerhaft abwenden. Die hatte ihr der Arzt gleich nach der OP prophezeit: „Irgendwann müssen Sie zur Dialyse“. Irgendwann? „Das ist dehnbar“, dachte sich die lebensfrohe junge Frau damals, „irgendwann halt, wenn du alt bist“. Sechs Jahre später war es so weit. Anfangs, das erste halbe Jahr, reichten zwei Termine pro Woche, dann musste sie dreimal wöchentlich für je 4,5 Stunden an die Maschine. Weil der erste Versuch, einen Dialyse-Shunt (Kurzschluss zwischen Arterie und Vene, der künstlich angelegt wird, um ein großvolumiges Gefäß für die beiden Kanülen zu haben, die für jeden Dialysetermin gelegt werden müssen) am Unterarm anzulegen, scheiterte, musste ein zweites Mal operiert werden – Kathrin Piller erhielt einen Shunt in der linken Ellenbogenbeuge. „Ich bin trotzdem im Sommer kurzärmlig herumgelaufen“, erzählt sie lächelnd. Die Blicke der Menschen hat sie ausgehalten. Nur Kinder, die hätten sich manchmal getraut, auf die Beule gezeigt und gefragt: „Was hast du da“ Damit hatte sie kein Problem.

Die Shunt-OP erfolgte 14 Tage vor der Hochzeit der Pillers. Als sie sich über das VIP-Schild an ihrem Bett wunderte und nachfragte, erfuhr sie, dass ihr Arzt die OP zur Chefsache erklärt hatte – mit der Begründung „die Frau Piller heiratet in zwei Wochen“. Neben den körperlichen Belastungen und Einschränkungen kam noch Einiges auf Kathrin Piller zu. Sie wurde arbeitslos, eine neue Stelle fand sich nicht, weil potenzielle Arbeitgeber sofort zurückschreckten, wenn sie „Dialyse“ nur hörten. Dann wurde ihre Verrentung betrieben – zu ihrer größten Überraschung. „Sie sind doch schwer krank“, hieß es. „Ich? Eigentlich nicht …“, so sah sie es selber, doch schließlich riet ihr Mann ihr, das Geld zu nehmen. Eine 450-Euro-Stelle fand sich für die gelernte Einzelhandelskauffrau später doch noch in Ingolstadt. Unterkriegen ließ sie sich nie. „Du zwingst mich nicht in die Knie“, so hielt sie mitunter Zwiegespräch mit der Dialyse.

Anno 2009 startete das Ehepaar Piller den ersten Versuch der Lebendspende. Ein wenig habe er damals schon nachdenken müssen, erzählt Erwin Piller, aber „der Gewinn an Lebensqualität war es wert“ – auch für ihn, schließlich wurde sein Leben von der Krankheit seiner Frau ebenfalls mitbestimmt. Sieben Wochen lang lag Kathrin Piller im Klinikum Großhadern, doch ihr Immunsystem reagierte nicht ausreichend auf die Immunsuppression, die Antikörpertiter gingen einfach nicht runter – eine Abstoßung der Spenderniere wäre vorprogrammiert gewesen.

Die Gewebeantigene von Erwin und Kathrin Piller besitzen ohnehin die denkbar ungünstigste Konstellation. Sie hat die Blutgruppe Null negativ, ist daher als Universalspender für alle anderen geeignet, kann selber theoretisch aber nur die eigene Blutgruppe empfangen. Viele Transplantationszentren lehnten daher eine solche Spende grundsätzlich ab. Nach dem gescheiterten Versuch in Großhadern rieten die Ärzte den beiden dringend von einem weiteren ab. Bis eine Dialyseschwester aus Neuburg im Herbst 2011 zur Fortbildung in Erlangen war und einen Vortrag von Katharina Heller hörte, Oberärztin an der dortigen Transplantationszentrale, die von erfolgreichen AB-O inkompatiblen Lebendspenden berichtete. Die Schwester fragte nach, schon mit Blick auf das Ehepaar Piller und erzählte dann der heute 48-Jährigen von der Erlanger Methode. „Es dauerte Monate, bis April 2012, bis ich mich durchgerungen habe, einen Termin auszumachen“, erzählt sie. Nach dem siebenstündigen Gespräch im Oktober 2012 – so lange waren die Wartezeiten – kam Fahrt in die Sache. Blut hatte die Ärztin vorsorglich schon mal abgenommen, obwohl noch keine Entscheidung getroffen war. Nur gut einen Monat lang überlegten Erwin und Kathrin Piller. Dann stand fest, dass sie einen neuen Versuch wagen würden. „Das ist mir deutlich leichter gefallen, als 2009“, erzählt der 46-Jährige.

Bis März war alles vorbereitet, zahlreiche Untersuchungen waren abgeschlossen und ab 15. April wurde Kathrin Piller auf den Eingriff vorbereitet. „Der Spender wird gleich besser untersucht als der Empfänger“, frotzelt sie mit einem neckischen Seitenblick auf ihren Mann. Diesmal reagierte ihr Immunsystem sofort auf die Behandlung, die es herunterfahren sollte. „Der Wert ist nach einem Tag schon da, wo wir ihn haben wollen“, erklärte die Ärztin der Karlshulderin damals. Operiert wurde am Montag drauf. „Das Wochenende über hatten wir die Honeymoon-Suite im Krankenhaus“, erinnert sich Erwin Piller schmunzelnd, „die drei Tage miteinander haben uns gut getan“. Seine OP begann in der Früh und dauerte rund zwei Stunden. „Um exakt 9.45 Uhr habe ich die Augen zugemacht“, weiß sie noch ganz genau. Am Nachmittag um 15 Uhr war er als Erster wieder auf Station, sie kam zwei Stunden später.

Schon im Aufwachraum hatte seiner Frau der erste Gedanke gehört. „Wie geht es ihr“, hatte er gefragt und die Auskunft erhalten, sie sei noch im OP, aber es liefe gut. Wie gut, das berichtete der Arzt später bei der Visite. „Sowas hätten sie noch nie erlebt, hat uns der Doktor gesagt“, erzählt sie und ihre Augen strahlen. Ob ihr Mann viel Weißbier getrunken habe, wurde sie augenzwinkernd gefragt, weil die Niere so gut gespült sei. Noch im OP hatte das frisch transplantierte Organ die Arbeit aufgenommen und gleich sechs der acht Liter, die sie durch die Kortisonbehandlung eingelagert hatte, wieder ausgeschieden. Entsprechend hatte sie noch im Aufwachraum Durst – auch das war ein neues Gefühl. Über die Dialysejahre hatte sich Kathrin Piller angewöhnt, nur wenig zu trinken, denn alles was sie trank, blieb drin – bis zum nächsten Dialysetermin. „Eine 0,7-Literflasche reichte drei Tage lang“, sagt sie. Heute trinkt sie zwei bis zweieinhalb Liter am Tag, schließlich muss die Niere gespült werden. Vier Tabletten täglich muss sie zur Immunsuppression nehmen, und zwar lebenslang. „Damit kann man leben“, findet sie.

Geburtstag feiern Erwin und Kathrin Piller in Zukunft dreimal im Jahr. Einmal sie, einmal er und den Dritten gemeinsam am Jahrestag der Transplantation. 100 Tage konnten sie bereits mit dem Hochzeitstag im August feiern und haben die Niere an diesem Tag „Schatzi I.“ getauft. Mittlerweile ist das neue Leben weit über 200 Tage alt. Erwin Piller, der nach der OP zwei Monate lang krankgeschrieben war, ist wieder an seinen Arbeitsplatz als Hausmeister in Neuburg zurückgekehrt und voll des Lobes für seine Kollegen, die viel Rücksicht genommen hätten.

„Ich würde es jederzeit wieder machen“, sagt er heute. Die Rippenschmerzen von der OP, Blutdruckmittel danach und eine Schonfrist, während der er nicht schwer heben durfte, sind zwar nicht vergessen, aber längst überwunden. Nun engagieren sich die Pillers für Organspenden, teilen Spenderausweise aus, er betätigt sich als Organpate und auch Kathrin Piller trägt ihren eigenen Organspendeausweis bei sich. „Warum auch nicht“, fragt sie, „auch wenn man die Nieren nicht brauchen kann – alles andere ist ja gut“. Sechs Wochen nach der OP sind beide wieder Rad gefahren. Auf Reha haben sie verzichtet und sich daheim gut erholt. Demnächst soll es auch wieder auf Reisen gehen. Die haben sie sich auch früher gegönnt – trotz Dialyse, wobei ein Reisebüro, das auf Dialyse-Reisen spezialisiert ist, sehr hilfreich war. Auch auf Mauritius beispielsweise gibt es Krankenhäuser, die Dialyse anbieten. Hygienisch einwandfrei, meint Erwin Piller. An das Umfeld müsse man sich allerdings gewöhnen, beziehungsweise Abstriche machen.

Weil er Probleme machte, wurde der Shunt vorzeitig entfernt – noch ein Schritt hin zum ganz normalen Leben. Und jetzt haben sie das seit Jahren erste Weihnachten ohne Dialyse zusammen gefeiert.