Hohenwart
Die Sache mit dem dreigestrichenen A

Der Hohenwarter Musiker Erwin Fliegel erzählt aus seinem Leben – Goldene Schallplatte mit den Kaiserlich Böhmischen

17.04.2015 | Stand 02.12.2020, 21:24 Uhr

 

Hohenwart (SZ) Er ist einer der Könige des volkstümlichen Schlagers: Erwin Fliegel. Sein halbes musikalisches Leben hat er in der blau-weiß-roten Uniform der Kaiserlich Böhmischen verbracht, die dem königlich bayerischen Leibregiment nachempfunden ist.

Sie brachte ihn um die halbe Welt, in die USA, nach Kanada, quer durch Europa. Über 5000 Auftritte hat die Kapelle über die Jahre gespielt. 1973 erreichte die Single „Die alte Dampfeisenbahn“ Gold-Status, danach ging es erst richtig los. Viermal trat er im Musikantenstadl auf, er war mit der Kapelle, die er 1966 zusammen mit Günter Lutzenberger gegründet hatte, zu Gast bei Rudi Carrell und allen anderen Größen der Fernsehbranche. Seit mittlerweile zehn Jahren lebt Erwin Fliegel zusammen mit seiner Familie in Hohenwart. Ein Besuch in seinem Tonstudio. Fliegel produziert hier nicht nur die Musik der Kaiserlich Böhmischen, mit denen er seit 2012 wieder regelmäßig live auftritt, sondern auch für andere Künstler. Demnächst wird die branchenbekannte Neuneralm-Musi aus Grainau zu Gast sein. Erwin Fliegel ist eine Nummer in der Branche. „Jeder PR-Manager wusste damals die Bestellnummer der ,Dampfeisenbahn’ auswendig“, sagt er und lacht. Er trägt noch das Klarinettenband um den Hals, vor dem Interview hat er eine Stunde geübt. Das hört nie auf, auch nicht mit 66.

Es war schnell gegangen, damals. Im Studio hatten sie die „Böhmische Mazurka“ aufgenommen. „Das wird ein Hit!“, hatte der damalige Produzent versprochen. „Es wurde kein Hit“, sagt Fliegel trocken. Dann kam schon die Dampfeisenbahn. Kurt Hertha hat den Titel, der ihr größter Hit werden sollte, damals für die Kaiserlich Böhmischen geschrieben, einer, dessen Musik man kennt. Hertha schrieb auch für Gitte, Bata Ilic, Roy Black, Nana Mouskouri und viele viele andere in den Hochzeiten des deutschen Schlagers der 60er und 70er Jahre. Nicht alle Bandmitglieder waren auf Anhieb begeistert von dem Titel. „Ein Kinderlied? Das sing ich nicht“, hatte der damalige Sänger, Werner Huber, gesagt. Schon gar nicht „tatarapf, tatarapf“. Der Produzent holte ihn zurück, er sang. Alles richtig gemacht.

Denn ihr Produzent kannte den TV-Regisseur Dieter Pröttel. Dem gefiel der Song, und schon fanden sich die Kaiserlich Böhmischen live auf den großen Fernsehbühnen wieder.

Mittendrin: Erwin „Bully“ Fliegel. Vor 32 Millionen Zuschauern bei den „Lustigen Musikanten“. Er wird das nie vergessen. Denn er musste das dreigestrichene A auf der Klarinette spielen, „das ist ein Ton, der kommt, und manchmal kommt er auch nicht“. Hinter der Bühne wurde da gefrotzelt: „Denk fei an die 32 Millionen Zuschauer, wenn du das dreigestrichene A spielst.“ Und? Kam der Ton? Er kam natürlich.

Erwin Fliegel stammt aus einer musikalischen Familie. Der Vater war einer der Dellnhauser. Kein Wunder, dass der kleine Erwin früh Instrumente lernte, neben der Klarinette beherrscht er auch das Saxofon. Das blieb auch Schulfreunden nicht verborgen. In Giesing wuchsen sie auf, gemeinsam. Günter Lutzenberger, Herbert Hell, Ehemann der Pfaffenhofener SPD-Politikerin Eva Hell, er und die anderen. Etliche Musiker waren damals im Umfeld der Münchner Jungs, auch ein gewisser Willy Michl. „Der Willy und ich, wir haben damals schon am Flaucher zusammen musiziert, mit Gitarre und Klarinette.“ Früher spielte Bully Fliegel auch im Jazzkeller in der Türkenstraße, ein halbes Jahr war er Anfang der 70er Jahre mit einer Reggaeband aus Jamaika auf Europatour, als Saxofonist. Es war die Zeit, als der Entschluss reifte, seinen Beruf als Elektrotechniker an den Nagel zu hängen. „Hast Dir das gut überlegt“, fragte der Vater. Hatte er.

Mitte der 80er Jahre hatte Fliegel erst einmal genug vom Tourleben aus dem Koffer. Er wurde Tonmeister, Produzent. Die Hot Dogs waren bei ihm im Studio in Gräfelfing, die mit „Marie, da liegt a toter Fisch im Wasser“ oder mit „De oidn Rittersleid“ Riesenhits hatten. Bei einigen dieser Titel hatte Fliegel die Finger im Spiel. Oder die Holledauer Tanzbodnfeger. Er arbeitete mit Leuten wie Sigi Schwab zusammen. „Ein Gitarrengott“, sagt Fliegel, „wir haben ihn einige Male gebucht.“

Ob er noch weiß, wie viele Titel er schon produziert hat? „Ich habe neulich mal in der Datenbank nachgesehen. Es stehen über 6000 drin“. Etliche hat er selber geschrieben, einige wurden kleine Hits. „Ich bin in München verliebt“, zum Beispiel. Oder „Ia ia ia oh!“, das haute auch schon mal von den Dorfrockern gecovert wird. „Mehrere kleine Hits sind auch nicht schlecht“, sagt Fliegel verschmitzt.

Musikalisch ist er offen. „Ich habe keine Scheuklappen, ich mag Musik, die gut gemacht ist“, sagt er, und wenn man mit ihm redet, dann wird schnell klar, dass er alles und alle kennt. Querbeet. Von den Stones bis zu Schmidbauer/Kälberer.

Erwin Fliegel hat viel mit Christian Bruhn gearbeitet, auch einer der ganz Großen der Branche. „Marmorstein und Eisen bricht“ hat er einst komponiert, „Heidi“, auch die Musik zur Zeichentrickserie „Captain Future“. Wenn er an Bruhn denkt, fällt Erwin Fliegel jenes Telefonat ein. Bruhn schrieb gerade für Mireille Mathieu einen griechischen Song. „Ich brauche eine griechische Insel, die gut klingt“, bat ihn Bruhn. „Ich habe ihm dann eine griechische Insel gesagt.“ Auch dieses Lied wurde damals ein Hit: „Das war der Stern von Mykonos.“

Die Arbeit geht auch heute nicht aus. Fliegels Frau Beate ist ebenfalls im Team, in der eigenen Firma „Phonosound“. Hier geht es nicht nur um Musik, sondern auch um das Verwalten einiger Patente, die Fliegel über die Jahre angemeldet hat, besondere Blattschrauben für Klarinetten und Saxofone zusammen mit seinem Bruder Günther, auch diese flexiblen CD-Haltepunkte aus Moosgummi hat er erfunden. Die beiden hatten sich bei der Gartenschau in Ingolstadt kennengelernt, 1992, damals sang sie auch. „Das war das einzige Mal, dass ich selber gesungen habe“, lacht sie. Hat gereicht, damit sie zusammenkamen. Die beiden haben einen Sohn, auch er heißt Erwin, auch er ist inzwischen Teil der Kaiserlich Böhmischen, zusammen mit Markus Göttler aus Strobenried verjüngt er die Combo ein wenig, die zurzeit als Quintett unterwegs ist. Etliche Instrumente beherrscht Erwin Fliegel jun. Perfekt, obwohl er noch keine 20 ist. „Mei, wenn die Sachen schon alle rumstehen . . .“, pflegt er wohl bisweilen zu sagen. Gitarre, Bass, Klavier, Schlagzeug, Akkordeon, Saxofon und einiges mehr. Da wächst ganz offensichtlich der dritte Musiker namens Erwin Fliegel heran – ein Kreis schließt sich. Vater und Sohn Fliegel, sie werden wohl noch einige Male zusammen im Studio arbeiten und auf der Bühne stehen.

Dem Musikervirus, das sie befallen hat, können sie sich nicht entziehen. Wollen sie ja auch gar nicht. am Samstag, 25. Mai, treten die beiden übrigens gemeinsam auf, direkt in der Gegend, im Gasthaus Breitner in Gerolsbach. Karten für das Konzert der Kaiserlich Böhmischen sind überall erhältlich.