"Bewegung erhöht die Lebenserwartung"

21.07.2016 | Stand 02.12.2020, 19:31 Uhr

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Sie messen den Puls, zählen Schritte, berechnen Kalorien: Der Schrobenhausener Arzt Werner Schlingmann erklärt, wann Fitnessarmbänder sinnvoll sind.

Genau aus diesem Grund gibt es auch überzeugte Anhänger der Bänder: Das Bewusstsein für die eigene Gesundheit sei damit viel höher, sagen sie. Der Internist und Diabetologe Dr. Werner Schlingmann, der in Schrobenhausen eine Hausarztpraxis betreibt, erklärt, was die Armbänder aus medizinischer Sicht bringen.

 

Ein Armband, das die Patienten an regelmäßige Bewegung erinnert. Für Sie als Arzt ist das etwas Gutes, oder?

Werner Schlingmann: Genau dafür ist es auch am sinnvollsten: um die Patienten zur Bewegung zu motivieren. Bei Menschen, die nicht aktiv genug sind, ist das eine Problem oft die Motivation, das andere, sich daran zu erinnern, dass man sich an einem Tag noch nicht genügend bewegt hat.

 

Glauben Sie, dass ein Fitnessarmband das leisten kann?

Schlingmann: Die Motivation kann es dadurch steigern, dass es mit akustischen oder optischen Signalen verdeutlicht, dass man sich noch mehr bewegen sollte. Die Form der Bewegung ist allerdings nicht nachvollziehbar, die Geräte sind ja recht ungenau. Die zählen zum Teil auch falsche Bewegungen als körperliche Betätigung. Das ist mehr eine Orientierung.

 

Haben Sie da schon eigene Erfahrungen gemacht?

Schlingmann: Ich habe selber mal ein Armband zum Spaß getragen und musste überrascht feststellen, dass ich mittags bereits 8000 bis 9000 Schritte gegangen war - ich glaube nicht, dass ich so eine Strecke in meiner Praxis tatsächlich zurückgelegt habe. Das war ein eindeutiger Messfehler. Da muss sicher noch einiges getan werden. Momentan reicht es zum Teil, die Hand zu schütteln, um einen Schritt zu simulieren.

 

Die Geräte können ja noch mehr: Puls messen und sagen, wie man geschlafen hat, zum Beispiel. Wie wichtig ist es, so genau über seine Körperfunktionen Bescheid zu wissen?

Schlingmann: Nicht so wichtig. Es bringt den Träger des Armbands nicht viel weiter, zu sehen, wie gut er geschlafen hat. Da sehe ich außerdem die Messungenauigkeiten kritisch.

 

Wie viele Patienten gibt es denn in ihrer Praxis, die Fitnessarmbänder tragen?

Schlingmann: Relativ wenige. Das hängt sicher damit zusammen, dass wir vor allem ältere Patienten betreuen. Darunter sind viele Diabetiker - gerade bei denen wäre Bewegung eine ganz wichtige Therapiesäule, die oft unterschätzt und nicht genügend ausgenutzt wird. Patienten aus der älteren Generation sind der Technik aber natürlich nicht so zugeneigt.

 

Und wie sieht es bei jüngeren Patienten aus?

Schlingmann: Bei denen habe ich Fitnessarmbänder wiederholt gesehen. Da haben sie vor allem einen positiven Aspekt auf die Motivation.

 

Bei welchen Patienten außer Diabetikern kann das Armband denn noch helfen?

Schlingmann: Der Mensch ist ein Jäger und Sammler und somit nicht darauf ausgelegt, nur herumzusitzen. Es gibt kaum ein Krankheitsbild, bei dem wir den Patienten raten, sich nicht zu bewegen. Im Gegenteil: Bei der überwiegenden Mehrzahl aller Herz-, Kreislauf- und Lungenerkrankungen würde man dem Patienten raten, sich möglichst viel zu bewegen - den Möglichkeiten angepasst. Man weiß um den positiven Effekt auf viele Laborwerte: Blutdruck, Puls, Cholesterinwerte, Insulinresistenz. Eine Bewegungssteigerung über einen längeren Zeitraum hilft, diese Messwerte nachhaltig zu verbessern. Und es ist auch bekannt, dass diese Faktoren die Lebenserwartung erhöhen und das Krankheitsrisiko senken.

 

Zum Teil kann man bei Apps ja sogar eintragen, was man den Tag über gegessen hat. Hat das auch einen positiven Effekt?

Schlingmann: Nur dann, wenn man es nutzt. Ich denke, je komplizierter es wird und je mehr man eintragen muss, umso niedriger wird die Motivation.

 

Sehen Sie auch die umgekehrte Gefahr: Dass ich gar nicht mehr aufhören kann, mich immer weiter selbst zu optimieren?

Schlingmann: Das habe ich noch nicht erlebt. Das sehe ich nur im Kontext der Informationsgesellschaft, wo wir ständig mit einem Smartphone bewaffnet herumlaufen und uns immer über alles informieren können - von Nachrichten über Bundesligaergebnisse und jetzt auch noch über unseren eigenen Körperzustand. Das würde ich allgemein nicht als positiv bewerten.


Handelt es sich bei den Fitnessarmbändern um einen Trend, der wieder verschwindet, oder könnten sie auch langfristig erfolgreich sein?

Schlingmann: Wenn die Messfehler und die technischen Schwierigkeiten, die die Geräte noch haben, ausgebessert werden, dann, glaube ich, wird es langfristig nicht nur Modeerscheinung sein, sondern noch mehr Zulauf finden.

 

Was würden Sie einem Patienten raten, der sich ein Fitnessarmband kaufen will?

Schlingmann: Ich finde es einen sehr guten Gedanken, sich das zuzulegen. Und dann würde ich meinem Patienten direkt nützliche Tipps geben, wie viele Schritte er pro Tag machen soll und auf was er dabei achten muss. Ich empfehle ein Fitnessarmband aber nicht aktiv.

 

Selbst würden Sie keines tragen wollen?

Schlingmann: Nein. Ich treibe ohnehin Ausdauersport, ich fahre gerne Rad, und das sehe ich als ausreichend an - ohne das im Alltag zu überwachen. Gott sei Dank bin ich gesund und habe weder Diabetes noch eine Kreislauferkrankung. Fitnessarmbänder sind nichts Schlechtes, aber ihren Nutzen sollte man nicht überschätzen.