Schrobenhausen
Mehr Raum für Kreativität schaffen

Jutta Reichel-Holz im Gespräch über die Schwächen des Systems

19.10.2017 | Stand 02.12.2020, 17:20 Uhr
Jutta Reichel-Holz: Rektorin der Franziska-Umfahrer-Grundschule Schrobenhausen. −Foto: De Pascale

Schrobenhausen (SZ) Studien, die sich mit den Leistungen von Schülern beschäftigen, sorgen regelmäßig für Aufruhr. So wie aktuell der IQB-Bildungstrend, demzufolge Viertklässler heute schlechter in Mathe, im Zuhören und Rechtschreiben sind als vor fünf Jahren.

Doch wie sieht es jenseits des Messbaren aus? Was ist mit Kindern, die anders sind? Gibt es im derzeitigen Grundschulsystem Raum für Individualität? Werden Kinder hier überhaupt zu selbstständig denkenden Mitgliedern der Gesellschaft erzogen? Die Schrobenhausener Zeitung hat sich bei Schulleitern umgehört.

"Ich habe eine sehr dezidierte Meinung zur Studie", gesteht Jutta Reichel-Holz, Rektorin der Franziska-Umfahrer-Grundschule (FUGS): "Ich sehe es genauso." Das Ganze sei ein schleichender Prozess, hänge mit vielem zusammen. Zum einen sei eine korrekte Rechtschreibung heute auch vielen Erwachsenen nicht mehr wichtig. Zum anderen hätten Aufnahmefähigkeit und Konzentrationsleistung der Schüler abgenommen. Den Ruf nach den Elternhäusern sieht Jutta Reichel-Holz dennoch nicht immer gerechtfertigt. "Ich sehe den Bildungsauftrag in erster Linie bei der Schule - aber dafür bräuchte man mehr Ressourcen."

Womit sie einen jener Punkte anspricht, den auch Kritiker immer wieder bemängeln. Doch was antwortet die FUGS-Rektorin eigentlich jenen, die das System komplett infrage stellen; die sich daran stören, dass die Individualität des Einzelnen auf der Strecke bleibe, für Querdenker ohnehin kein Platz sei? Und was hält sie davon, dass im neuen LehrplanPlus Kompetenzen ein derart hoher Stellenwert eingeräumt wird? "Ich bin schon ein Freund der Kompetenzorientierung", gibt Jutta Reichel-Holz zu, "wenn jemand die Kompetenzen hat, kann er sich die Fähigkeiten und Fertigkeiten auch aneignen." Und was das Querdenken betrifft: "Da gab es bei uns eine Mathestunde für ganz flotte Denker; da ist nur quergedacht worden", erzählt Reichel-Holz.

Eine Extra-Förderung, die in diesem Schuljahr nicht mehr zustande kam. Zu wenig Anmeldungen. Was dagegen großen Zulauf genieße: Mathe für schwächere Kinder. "Da müssen wir das Niveau schon ganz weit runterschrauben", versichert sie. Grundsätzlich gebe es aber im existierenden System durchaus Möglichkeiten, Missständen gegenzusteuern. Beispielsweise gebe es an der FUGS den "großen Luxus" einer Förderlehrerin. Oder die "schöne Zahl an zusätzlichen Stunden für Fördermaßnahmen", samt Deutsch-Förderklasse.

Und wie steht's um die Kreativität - ist dafür im streng getakteten Schulalltag Raum? "Ganz wenig", bedauert Reichel-Holz. "Wir verbraten wirklich unsere Stunden für die Förderung." Schließlich sei da ja auch die heterogene Zusammensetzung der Klassen. Wobei die durchaus auch Chancen biete, findet Jutta Reichel-Holz: "Da kommen wir wieder auf die Kompetenzen. Wer die Kompetenzen hat, sich selber etwas anzueignen, der kommt mit Heterogenität sehr gut zurecht."

Nochmal eine Ecke weiter gedacht: Wenn sie sich ihr ganz eigenes Grundschul-System basteln dürfte - wie sähe das bei Jutta Reichel-Holz aus? "Ich würde wesentlich mehr Freiräume für Kreativität geben, für Sport, Musik, Kunst", sagt sie. "Und ich würde gerne viel mehr Neigungsgruppen haben, in denen man Kinder auffangen kann; würde auch gern in die Begabtenförderung reingehen. Da hätte ich gerne Stunden, in denen ich die pushen kann." Andererseits hätte sie aber auch gern mehr Stunden für Kinder mit Lernschwierigkeiten. Doch auch jetzt laufe vieles gut. Vor allem im Ganztagesbetrieb. "Da können wir das Kreative super anbieten", berichtet Jutta Reichel-Holz. Mit zusätzlichem Sport, zusätzlicher Kunst und Musik. Auch individuelle Förderung funktioniere hier wesentlich besser.

"Das ist ein Konzept, hinter dem ich zu 150 Prozent stehe", versichert die Rektorin. Dank guter Kooperation mit der Musikschule können an der FUGS auch eine Orchesterstunde, dank "großzügiger Spender" Leihinstrumente angeboten werden. "Das kann ich natürlich nicht vom normalen Budget kaufen." Dabei habe sie durchaus auch mal mit Vorurteilen seitens der Eltern zu kämpfen, die sich "jeden Nachmittag richtig Schule" wünschten. Jutta Reichel-Holz ist dagegen überzeugt: "Kinder, die Kunst, Musik, Sport machen, haben anderweitig wesentlich mehr Kapazitäten."

Was die Akzeptanz des Ganztagesbetriebes betrifft, hinke Deutschland hinterher: "In anderen Ländern undenkbar - bei uns hat nachmittags die Kinder abzugeben immer noch den Geruch der Rabeneltern." Völlig zu Unrecht, findet Jutta Reichel-Holz.