Pfaffenhofen
"Spannender als jeder Krimi"

12.11.2010 | Stand 03.12.2020, 3:28 Uhr

Ausgeprägtes Gerechtigkeits-Empfinden: Die Pfaffenhofener Anwältin Regina Rick ist eine der Hauptpersonen im Fall Rupp, der bundesweit für Schlagzeilen sorgt. - Foto: Gerd Schwengler

Pfaffenhofen (PK) Regina Rick ist Fachanwältin für Strafrecht. Da erlebt man viel. Mord und Totschlag freilich inklusive. Aber dieser Fall, sagt sie, der sei schon "einmalig in einem Berufsleben". Als Strafverteidigerin bekomme man ja ständig mit, wie die Polizei mit Verdächtigen umgehe. Mancher gesteht. Nicht selten wird ein Geständnis widerrufen. "Aber hier haben wir den Fall, in dem bewiesen ist, dass ein Geständnis falsch war."

Erschlagen sollen sie ihn haben, den im Jahr 2001 verschwundenen Landwirt Rudolf Rupp, dann die Leiche zerstückelt und den Hunden zum Fraß vorgeworfen. Die Ehefrau Rupps, die beiden 17 und 18 Jahre alten Töchter sowie der Freund eines der Mädchen haben gestanden – und dieses Geständnis widerrufen. Doch nach 24 Verhandlungstagen ist für das Gericht damals, im Jahr 2005, der Fall klar. Das Urteil: Freiheitsstrafen von bis zu achteinhalb Jahren wegen Totschlags und durch Unterlassen begangene Beihilfe.
 

Im März vergangenen Jahres aber holt die Polizei an der Staustufe Bergheim das Auto von Bauer Rupp aus der Donau. Und darin: Dessen angeblich zerstückelte und an die Hunde verfütterte Leiche.

Einige Wochen nach diesem unglaublichen Fund übernimmt Regina Rick den Fall. Sie verteidigt eine der Töchter des toten Bauern in dem wieder aufgenommenen Prozess, der im ganzen Land für Aufsehen sorgt und der mit Spannung verfolgt wird. "Über eine Empfehlung" sei sie an den Fall gekommen. "Ich bin bekannt als jemand, der sich mit der Justiz anlegt."

Zwei Umzugskisten voll mit Unterlagen, viele tausend Seiten. Regina Rick musste jede Menge Akten sichten, sich einlesen. Widersprüche herausarbeiten. Lücken finden. Und je tiefer sie vordrang, je mehr sie las und je mehr sie nachdachte, desto klarer sah sie. "Für mich ist immer deutlicher geworden, wie das damals gelaufen ist bei den Vernehmungen und wie es zu den Geständnissen kam", sagt sie. "Da hab ich mich noch mehr als schon 2005 gewundert, wie es zu diesem Urteil kommen konnte."

Ein Urteil, von dem sie sagt, es sei "erstaunlich", dass es vor dem Bundesgerichtshof (BGH) gehalten hat. Ein Urteil, von dem sie sagt, dass es zwar satte 200 Seiten zähle, aber problematische Aspekte ausblende. Ein Beispiel: Im Rahmen der Ermittlungen sei ein ganzes Feld umgegraben worden, um knöcherne Überreste des angeblich zerstückelten und zum Teil auf dem Misthaufen entsorgten Leichnams zu finden. Doch nicht ein einziger Splitter eines Menschenknochens sei zu Tage gekommen. "Dass man da nicht stutzig wurde", versteht Regina Rick nicht. Nun wird der Prozess neu aufgerollt. Dagegen hatte sich die Landshuter Kammer zuerst gesträubt, obwohl doch mit dem Auftauchen von Rupps Leiche neue Fakten geschaffen waren. Aber in Landshut sah man das anders. Am Ende entschied der 3. Strafsenat des Oberlandesgerichts München – auf Beschwerde von Regina Rick hin – dem Wiederaufnahme-Antrag stattzugeben. Dass der Fall nun erneut verhandelt wird, ist also ihr Verdienst.

Der Fall Rupp bestimmt im Moment ihr Berufsleben. "Das nimmt schon viel Zeit in Anspruch." Aber es sei nicht so wie in Filmen, in denen Anwälte rund um die Uhr nur noch in spärlich beleuchteten Büros sitzen und an einem einzigen Fall arbeiten. Rund 100 Strafsachen habe sie derzeit am laufen; darunter auch zahlreiche zeitaufwendige Wirtschafts- und Steuerstrafsachen. Aber freilich ist der Fall Rupp die Nummer eins. "Der interessiert mich auch so sehr." Die Geschichte vom zerstückelten Bauern, der Jahre später am Steuer eines versenkten Autos aus dem Wasser gezogen wird, "ist spannender als jeder Krimi", räumt sie freimütig ein.

Sie weiß, wovon sie spricht. Sie liest für ihr Leben gern Krimis. Die von Stieg Larsson ("Vergebung") etwa, oder von Wolf Haas ("Komm, süßer Tod"). Doch derzeit haben Killer-Geschichten und Ermittlungs-Thriller Pause. Abends und am Wochenende gibt’s im Moment, da im Fall Rupp bis zu drei Verhandlungstage pro Woche angesetzt sind, Akten statt Krimis.

Zum Abschalten geht Regina Rick Joggen. Und während sie sonst eher klassische Musik mag, tönen beim Laufen rockige Klänge aus ihrem iPhone ("Ohne das kann ich nicht leben"). Songs von Anastasia zum Beispiel. Gleich nach dem Loslaufen hört sie immer das Lied "Paid my Dues".

Regina Rick, Jahrgang 1969, ist gebürtige Münchnerin. Nach dem Abitur (Leistungskurse Englisch und Kunst) besuchte sie die Wirtschaftsschule. Dort hat sie Steno und Tippen gelernt; alleine deshalb habe sich das gelohnt. Nach dem Jura-Studium und dem Referendariat wandte sie sich zunehmend dem Strafrecht zu. Das erklärt sie mit ihrem Gerechtigkeits-Empfinden. "Es klingt vielleicht ein bisschen hehr: Aber es gibt oft Menschen, die der Staatsgewalt nichts entgegensetzen können", sagt sie. "Wenn ich etwas als ungerecht empfinde, dann kann ich mich richtig verbeißen." Und schon ist da wieder eine Verbindung zum Fall Rupp. Zu ihrer Mandantin, die zu dreieinhalb Jahren Haft verurteilt und nach zwei Jahren in eine beschützende Einrichtung entlassen worden war: "Wenn sie jetzt freigesprochen wird, dann kriegt sie eine Entschädigung – und wenn es das letzte ist, was ich tue und wofür ich mich einsetze."

Neben den Angeklagten ist Regina Rick unweigerlich eine der Hauptpersonen im Rupp-Prozess. Sie steht im Fokus, ist gefragt, wird gefragt und beobachtet. Doch die Trauben von Journalisten um sich herum findet sie "gar nicht so schlimm". Und auch Kameras lassen sie kalt. "Ich denk da nicht dran, ob meine Haare richtig sitzen oder ob ich mich im Fernseh-Interview mal verhasple", sagt sie. Natürlich weiß sie auch, dass der Fall in Fachkreisen heiß diskutiert wird. Aber ihr Blutdruck sei "fantastisch niedrig".

Regina Rick gefällt es in ihrer Wahlheimat Pfaffenhofen. Das klingt wie ein Plädoyer für die Kreisstadt: Hier könne man sich noch ein Haus leisten. Mit dem Rad überall hinfahren. Steht nicht dauernd im Stau. Alles ist persönlich und überschaubar. "Und hier gibt’s noch einen g’scheiten Metzger und Bäcker." Und die Verwandten seien ja auch hier, sagt die Mutter eines Sohns und einer Tochter.

Der Rupp-Prozess wird Regina Rick noch eine Zeit lang auf Trab und die Beobachter in Atem halten. Vor Februar ist mit einem Urteil nicht zu rechnen. Danach wird sie sich wieder gewöhnlicheren Fällen zuwenden. Denn so aufregend, wie die fernseh-infiltrierte Gesellschaft glaubt, geht es im wahren Anwalts-Leben nicht zu. Mit dieser Mär räumt Regina Rick auf. Dass einer zum Anwalt kommt und sagt "Ich war’s, bitte hauen Sie mich raus", das gebe es in der Wirklichkeit nicht. Wer in einer Strafsache angeklagt sei, der werde häufig auch verurteilt. Mit einem Freispruch endet es selten. Und das stimmt eben so gar nicht mit den Fließband-Erfolgen der gerissenen Advokaten im Fernsehen überein. "Als Strafverteidiger lernt man, sowohl mit Konflikten als auch mit Niederlagen oder Rückschlägen umzugehen", sagt Regina Rick. Sie sei auch zufrieden, wenn ein Strafmaß herauskomme, das sie für gerecht halte.