Pfaffenhofen
"Die Energiekonzerne haben versagt"

Der Pfaffenhofener Energiewende-Experte Andreas Herschmann im Interview

09.10.2014 | Stand 02.12.2020, 22:08 Uhr

Der Pfaffenhofener Energiewende-Papst Andreas Herschmann sieht eine historische Chance, die Energiewirtschaft zu demokratisieren - Foto: Kraus

Pfaffenhofen (PK) Andreas Herschmann ist Vorsitzender des Pfaffenhofener Energie- und Solarvereins und gefragter Experte. Im Interview erzählt er von der Notwendigkeit einer Energiewende in Bürgerhand, von den Tücken des Strompreises und von verpassten Chancen bei der aktuellen EEG-Reform.

Bürgerenergie ist die inhaltliche Klammer der Energie-für-alle-Woche: Müssen die Bürger einspringen, weil der Staat dabei versagt hat, die Energiewende richtig zu gestalten?

Andreas Herschmann: Der Staat kann immer nur Rahmenbedingungen schaffen. Die Umsetzung müsste durch die Wirtschaft erfolgen. Aber da sind nun wir Bürger gefragt, weil die Energiekonzerne es nicht schaffen, die erneuerbaren Energien in ihre alten Strukturen und ihr zentrales Geschäftsmodell zu integrieren. Versagt haben also die Energiekonzerne. Und deshalb müssen wir Bürger es schaffen, die dezentrale Energieversorgung unter den vom Staat vorgegebenen gesetzlichen Rahmenbedingungen wirtschaftlich umzusetzen.

Das klingt ja fast schon, als wäre Energieerzeugung Bürgerpflicht.

Herschmann: Es ist weniger eine Pflichtaufgabe, als vielmehr eine Chance, als Bürger zu profitieren. Eigentlich wäre die Stromversorgung eine kommunale Aufgabe – das regelt Artikel 83 der bayerischen Verfassung. Weil die Kommunen diese Aufgabe aber an die privaten Energiekonzerne ausgelagert haben, muss jetzt der Bürger die historische Chance nutzen, die Energiewirtschaft wieder zu demokratisieren und sich die Wertschöpfung zurückzuholen.

Und wie könnte man konkret profitieren?

Herschmann: Einerseits, indem man seinen Strom günstiger selbst erzeugt als einkauft. Oder man verkauft ihn und erwirtschaftet so eine Rendite. Die ist allerdings, so ehrlich muss man sein, viel geringer als die Renditen, die die großen Energiekonzerne einstreichen. Aber in diesen Zeiten niedriger Zinsen kann man mit erneuerbaren Energien eine viel höhere Kapitalverzinsung realisieren – und macht sich obendrein ein Stück weit energieunabhängig.

Stichwort Wertschöpfung vor Ort: Was würde eine dezentrale Energieversorgung für den Landkreis bedeuten?

Herschmann: Wenn jeder bei der Energiewende mitmacht und wir es schaffen, 100 Prozent unserer benötigten Energie selbst vor Ort zu erzeugen, würden 100 Millionen Euro jährlich im Landkreis bleiben, die ansonsten für Energieimporte zum Beispiel nach Russland oder Saudi Arabien fließen würden.

Ob das möglich ist, ist eine Glaubensfrage. Es gibt ja unterschiedlichste Meinungen, ob zum Beispiel Windräder in Bayern überhaupt wirtschaftlich betrieben werden können.

Herschmann: Können Sie! Gute Beispiele sind da die beiden bestehenden Windkraftanlagen in Frickendorf und Sünzhausen – und das, obwohl sie nicht einmal auf dem Stand der Technik sind. Mittlerweile gibt es spezielle Anlagen, die für Schwachwindgebiete besonders geeignet sind. Und damit rechnet sich ein Windrad am richtigen Standort auf jeden Fall.

Aber es heißt doch immer, dass die Energiewende am Ende den Verbraucher über die steigende Stromrechnung trifft.

Herschmann: Dass das Erneuerbare-Energien-Gesetz als Preistreiber wahrgenommen wird, liegt an einem Systemfehler im Strommarkt-Design. Erneuerbare Energien haben, wenn alle Begleitkosten berücksichtig werden, die geringsten Erzeugungskosten. Sie tragen damit eigentlich dazu bei, den Strompreis an der Börse durch ein Überangebot zu Spitzenzeiten zu minimieren. Die festgeschriebene Vergütung für den Strom aus erneuerbaren Energien steigt trotzdem: Was an der Börse weniger erlöst wird, wird dem EEG aufgeschlagen – das ist der sogenannte Merit-Order-Effekt. Eine wirkliche Reform im Strommarktdesign ist also überfällig!

Kann die aktuelle EEG-Reform den „Systemfehler“ ausbügeln?

Herschmann: Nein, in der jetzigen Form leider nicht. Dafür waren die Änderungen nicht weitgehend genug. Die tatsächlichen Kosten der einzelnen Energien sind im Strompreis nach wie vor nicht erkennbar. Man muss dazu wissen, dass jede Art von Energieerzeugung gefördert wird: nicht nur die Erneuerbaren, sondern auch Kernkraft und Kohlestrom. Stand heute ist allein die Kernkraft in Deutschland mit 189 Milliarden Euro subventioniert worden – die Endlagerung noch nicht eingerechnet. Das wurde aber nicht über den Strompreis, sondern vom Steuerzahler aus anderen Töpfen bezahlt. Berücksichtigt man diese Subventionen, liegen die Gesamtkosten für Strom aus Kohlekraftwerken bei rund 12,1 Cent pro Kilowattstunde, für Strom aus Atomkraft sogar bei 12,8 Cent. Fotovoltaik ist abhängig von der Anlagengröße mit derzeit rund zwölf Cent mittlerweile günstiger, Windenergie mit 8,9 Cent schon seit Jahren!

Einige für die Reform mitverantwortliche Politiker kommen am Sonntag zum Bürgerenergie-Gipfel nach Pfaffenhofen.

Herschmann: Wir haben direkt Beteiligte aus Landtag und Bundestag auf dem Podium. Natürlich muss man ihnen die Frage stellen, wo die tatsächliche Reform geblieben ist. Ursula Sladek und Franz Alt werden da sicherlich auf den Putz hauen.

Apropos Sladek und Alt: Für den Energiekongress haben Sie große Namen verpflichten können. Wie ist das für einen „Provinzverein“ überhaupt machbar?

Herschmann: Einerseits, weil wir vom ESV für solche Programme mittlerweile auch überregional bekannt sind. Andererseits, weil wir die Energiewende auch wirklich gestalten. Unser Verein hat zwar nur 71 Mitglieder, aber hier hat sich die letzten Jahre ein Kompetenzzentrum im Bereich erneuerbarer Energien aufgebaut, das so nicht oft in Bayern zu finden ist. Wir sind kein Träumerverein, der nur demonstriert und Flyer druckt. Wir setzten die Energiewende um. Egal ob mit Klimaschutzkonzept, Umweltbildung oder der Gründung der Bürgerenergiegenossenschaft im Landkreis. Außerdem haben wir eine Landesvereinigung mitbegründet, um allen Bürgerenergiegesellschaften im Freistaat eine Stimme zu geben. Selbst die oberösterreichische Regierung hat jetzt schon bei unserem Landesverband angefragt, ob wir das Prinzip der Bürgerenergiegesellschaft bei ihnen vorstellen könnten. Wir reden nicht nur über die Energiewende. Wir machen sie.

Das Gespräch führte Michael Kraus.