Baar-Ebenhausen
"Außer der Pfarrkirche nur unansehnliche Häuser"

In den vergangenen Jahrzehnten sind die Gemeinderäte nicht immer sensibel mit dem kulturellen Erbe umgegangen

24.04.2014 | Stand 02.12.2020, 22:47 Uhr

 

Baar-Ebenhausen (PK) Vieles hat sich in den vergangenen 50 Jahren in Baar-Ebenhausen verändert. Weniges hat sich erhalten, manches fiel der Spitzhacke zum Opfer. Der Gemeinderat ging mit dem kulturellen Erbe nicht immer sensibel um.

Während der heutige Bürgermeister in verschiedenen Gremien und an seinem Computer sitzt, scheint der Alltag eines seiner Vorgänger wie aus einer anderen Welt gewesen zu sein. Lorenz Huber (geboren 1890) war 21 Jahre lang, von 1945 bis 1966, der „Buagamoasta Lenz“ in Ebenhausen und auf seinem Bauernhof auch Halter vom „Gmoabummerl“. Zwei Zuchtstiere verrichteten ihre sexuelle Dienstleistung für ein Deckgeld von 50 Pfennig je angetriebener Kuh im Hof vom Lenz. Gern gesellten sich Zuschauer, auch neugierige Kinder, jedoch aus angemessener Entfernung, dazu. Für die Zuchttierhaltung sind dem Lenz von der Gemeinde eine jährliche Vergütung von 1200 Mark sowie einige Tagwerk Wiesen zur Nutzung gewährt worden. Ob und wie viel er für sein Ehrenamt als Ortsvorsteher bekommen hat, ist nicht bekannt. 1964 hat die Gemeinde knapp 1800 Einwohner und einen Groß- und Kleinviehverband mit 536 Rindern, 509 Schweinen, 1600 Hühnern, Gänsen, Enten und 45 Bienenstöcken gezählt.

Am 12. September 1964 ist das auf der gemeindlichen Gänseweide erbaute Schulhaus fertig gestellt worden. Das stattliche klassizistische Schulgebäude aus dem Jahr 1894 an der Hauptstraße wurde einige Jahre später verkauft und abgerissen, was bis heute noch von vielen bedauert und dem damaligen Gemeinderat nicht gerade als Ruhmestat angelastet wird. Überhaupt ist auch der bis dato nicht gerade sensible, eher mit Desinteresse geführte Umgang mit dem kulturellen und historischen Erbe zu beklagen, was auch Protokolle aus dem Jahr 1974 beweisen. In seiner Stellungnahme zur Eintragung von Gebäuden in die Denkmalliste war der Gemeinderat der Meinung, „daß außer der Pfarrkirche und dem Gasthaus Grüner Kranz keine anderen Objekte von geschichtlicher Bedeutung seien“ (Ebenhausen) und „außer der Pfarrkirche nur alte, unansehnliche, teils abbruchreife Häuser das sonst so saubere Ortsbild verunstalten“ (Baar). Vor Jahren wurde im Rathauskeller gründlich aufgeräumt. Vom Lenz ist nicht einmal ein Foto erhalten.

Am 6. Dezember 1964 ist nach Abriss und Neubau von Kirchenschiff und Pfarrhaus die neue Kirche eingeweiht worden. Verblieben sind die gotische Apsis und der Rokokoturm aus dem Jahr 1768. Der Turm und die 1881 gepflanzte Eiche sind das zentrale Wahrzeichen der Gemeinde, ein denkmalpflegerisch sanierter „Grüner Baum“ sollte das Ensemble zu einem Gesamtbild vervollkommnen.

Mit Wirkung zum 1. Mai 1984 ist auf Entscheid des Innenministeriums aus den zwei Gemeinden Ebenhausen und Baar die neue Gemeinde geworden. Auf dem aufgefüllten Gänseweiher wurde im gleichen Jahr am 16. Juni der zweigeschossige Neubau mit Fahrzeughalle an die Feuerwehr Ebenhausen übergeben. Zusammen mit der nur ein paar hundert Meter entfernten Baarer Wehr leistet sich die Gemeinde damit gleich zwei. Kirchengemeinde und der TSV als größter Ortsverein haben sich längst zu einem Ganzen zusammengefügt.

Auf dem gleichen Gelände sind 1989 der gemeindliche Bauhof und ein Verkehrsübungsplatz entstanden, letzterer nicht gerade von ansprechender Gestaltung. Ab 2004 befasste man sich damit, das im Lauf der Zeit verfallene Gebäude der Alten Schmiede zu erwerben, abzureißen und als Platz zu gestalten. Das über viele Generationen vertraute Bild der Ortsmitte veränderte sich damit durchaus vorteilhaft, weil der Blick auf die Kirche frei wurde. Auch der vor zwei Jahren neu gestaltete Dorfplatz im alten Baarer Ortskern erhielt eine wesentliche Aufwertung.

Die expansive Baulandausweisung ab 1966 mit über 500 Parzellen allein auf Baarer Flur führte zu einem vollständigen Zusammenwachsen der Gemeinde. Die früheren Flurgrenzen und Ortsränder sind nicht mehr erkennbar. Nur der Südosten jenseits der Paar sprengt das topografische Ortsporträt, das ansonsten in einen rechteckigen Rahmen passt. Der Paar gegenüber als ortsbegleitenden Fluss und prägenden Bestandteil des Ortes als Natur- und Kulturlandschaft mit Feld und Flur hegt man wenig freundschaftliche Gefühle. Dem Hochwasser und der immer wiederkehrenden Überschwemmungsgefahr versucht man durch bauliche Maßnahmen in verschiedenen Varianten Einhalt zu gebieten. Für die lediglich 134 Flusskilometer findet sich anscheinend kein Gesamtkonzept aller Anliegergemeinden, um wenigstens teilweise wieder zu geben, was man genommen hat: Raum und Fläche. Im Westen und Süden grenzt die Bahnlinie die Ortschaft ab. An der Abzweigung Werk befindet man sich von Norden her kommend noch ein kleines Stück auf der uralten, landschaftlich leicht bewegten „Chaussée“. Sie führt mittig in den Ort, links und rechts von Feldern umgeben. Die alte Linde an der früheren Abzweigung zum Aidmühlweg bildet eine Sichtachse zum Kirchturm. Der geschlossene Ortsrand zieht sich von Ost nach West ohne hässliche Ausfransung wie ein klassisches Panoramabild. Das Porträt einer Kulturlandschaft. Es passt in den Rahmen. Noch.

Als Epilog ein leidenschaftliches Plädoyer des Journalisten, Historikers und Filmemachers Dieter Wieland zum Thema „Landschaft und Kultur – Kultur und Landschaft“: „Kulturlandschaftspflege ist ein politisch stark vermintes Interessenfeld für die Großindustrie, Makler, Investoren, Handels- und Logistikkonzerne, Tourismus- und Sportindustrie, Bauern- und Jagdverband, Holz- und Agrarindustrie – und ein Heer von Kommunalpolitikern. Und alle, alle wollen ran an diesen Kuchen Kulturlandschaft, alle interessiert an diesem Kuchen etwas anderes, aber alle interessiert das Geld. Finanzplatz Kulturlandschaft. Statt einer weiteren Plünderung, Zerstörung und Verhässlichung einen Riegel vorzuschieben, gilt es, diese gefährdete, zerbrechliche Schönheit vor Egoismus, Dummheit, Blindheit und rücksichtsloser Geschäftemacherei für die Allgemeinheit und zukünftige Generationen zu retten und sie zu erhalten“.