Zell
Ein Rebell gegen die geballte Gentechnik-Lobby

Ökoaktivist und Buchautor Jörg Bergstedt hält in Zell vor hundert Leuten einen bemerkenswerten Vortrag

09.12.2011 | Stand 03.12.2020, 2:04 Uhr

Der Ökoaktivist Jörg Bergstedt entfachte ein Feuerwerk an Gegenargumenten zur Agrogentechnik - Foto: Hammerl

Zell (ahl) Ein Muhen vom Band leitet den Abend mit Jörg Bergstedt ein. Der Ökoaktivist und Buchautor aus Hessen tourt derzeit mit seinem Vortrag „Monsanto auf Deutsch: Die Verflechtungen der Gentechnik-Lobby“ durch Bayern. In Zell hatten sich rund 80 Interessierte, darunter etliche Landwirte, eingefunden, die seinem temperamentvollen, teils kabarettistisch anmutenden Vortrag folgten.

Es ist eine David-gegen-Goliath-Geschichte. Doch um die geht es nicht, sie fließt nur in gelegentlichen Randbemerkungen ein, wenn der Agrogentechnikgegner von zahllosen Gerichtsverfahren erzählt, die nicht selten zu seinen Gunsten ausgingen. Ein halbes Jahr hat er im Gefängnis gesessen, nachdem er ein Versuchsfeld mit transgener Gerste der Uni Gießen „befreit“ (so sagt er selbst), beziehungsweise „zerstört“ (so sieht es die Gegenseite) hatte.

Bergstedt hat beeindruckendes Material dabei. Bei seinen Thesen zur Verflechtung von Gentechnik-Unternehmen, Genehmigungsbehörden, Forschungsinstituten und Lobbyverbänden stützt er sich vor allem auf Aussagen seiner Gegner.

„Sie wissen es alles selbst, deshalb weigere ich mich, weiter mit ihnen zu diskutieren, denn niemand hat eine andere Meinung als ich“, sagt er, als er aus einem Antrag der Firma Monsanto zitiert, in dem es heißt: „Die Möglichkeiten, eine Pflanze durch gentechnische Veränderungen zu verbessern, sind gering“. Effekte auf Pflanzen und Reaktionen der Umwelt seien nicht vorhersehbar, liest das staunende Publikum weiter. Die Erklärung: Das Zitat stammt laut Bergstedt aus einem Antrag für konventionelles Saatgut.

Bei genauerem Hinsehen zeige sich, dass es vor allem der Staat selbst sei, der die Agrogentechnik vorantreibe, behauptet der Redner, der darin keine Bekämpfungsmöglichkeit gegen Hunger sieht, sondern schlicht einen „neuen Baustein, die Landwirtschaft zu unterwerfen, wie das Aufkaufen von Land in armen Ländern, Nachbaugebühren und Futtermittelimport“. Agrogentechnik diene nicht einer selbstbestimmten, sondern einer industriellen Landwirtschaft.

Die größte Lüge aber sei, dass an allen Feldern Umweltauswirkungen erforscht würden. Das erziele einen hohen Propagandaeffekt, sei ein „Weichmacher der Gentechnikkritik“.

Bergstedt nennt Namen, die überall auftauchen. Forscher genehmigen auf Umwegen ihre eigenen Versuchsfelder oder im Austausch die der Kollegen, ähnlich liefe es bei Fördermitteln. Bergstedt zeigt einen Werbefilm der Industrie, in dem Joachim Schiemann, Leiter des Bundesforschungsinstituts für Kulturpflanzen, Julius-Kühn-Institut (JKI), und somit laut Bergstedt „höchstrangigster Beamter in staatlicher Gentechnikforschung“, für Agrogentechnik wirbt. „Schiemann ist Treuhänder des Fraunhoferinstituts, in Lobbyorganisationen aktiv, war zeitweise sogar Präsident, ist in Genehmigungsbehörden und bei Geldgebern tätig“, zählt Bergstedt auf. „Eine fantastische Situation, er vergibt sich selbst Gelder, hat kurze Dienstwege von Synapse zu Synapse.“

In Personalunion unterwegs sei auch Kerstin Schmidt, die sich in diversen Kleinunternehmen als Geschäftsführerin im Impressum findet – alle zudem unter gleicher Adresse. Eine Originaltonaufnahme von ihr auf einer Führung im firmeneigenen Gentechnik-Schaugarten und ein Foto des „amtlich anerkannten und vorgeschriebenen Nagerzaunes“ in Form eines banalen Kaninchendrahts hat der Referent ebenfalls mitgebracht. Auf den Einwand der Schaugartenbesucher, da kämen Mäuse ja leicht durch, antwortete Schmidt nur: „Und wenn schon, was soll da passieren“

Bergstedt brandmarkt die Universitäten als „Hochburgen der Gentechnik“, das Bundesforschungsministerium habe den Lobbyverband Innoplanta mit 20 Millionen Euro für Werbemaßnahmen unterstützt, das Bundesamt für Verbraucherschutz weise eine Genehmigungsrate von 100 Prozent bei Agrogentechnik auf, verweigere Verbrauchern aber die Akteneinsicht. Die hat sich der Rebell gerichtlich erkämpft, andere Behörden und Institute verwehrten Transparenz weiterhin.

Um keine Ohnmachtsgefühle im Auditorium zu erzeugen, hatte Bergstedt noch ein paar Ideen mitgebracht, was unternommen werden könne. Er warb für Felderbefreiung, Gegensaat und Kreativität. „Lasst eure Wut zu buntem Widerstand werden“, schloss der Ökoaktivist, den die Bündnisse Zivilcourage und die Interessengemeinschaft Tiergesundheit (IggT) eingeladen hatten.