Neuburg
Verschmelzung von Bild und Musik

Der monumentale Stummfilm "Luther" aus dem Jahr 1927 beeindruckt - so auch die Vertonung

20.10.2017 | Stand 02.12.2020, 17:20 Uhr
Der Berliner Komponist und Pianist Stephan Graf von Bothmer beeindruckte mit seiner Musik, mit der er den Stummfilm "Luther", eine aus mehreren Kopien erstellte Rekonstruktion des mehrfach zensierten Originals. −Foto: Hammerl

Neuburg (DK) Fast 100 Jahre zurück, in die Ära der Stummfilme, versetzt Stephan Graf von Bothmer, Komponist und Pianist, sein Publikum im Neuburger Stadttheater. Der monumentale Stummfilm "Luther" aus dem Jahr 1927 beeindruckt ebenso wie Bothmers moderne, eigens dazu komponierte Filmmusik.

Sie drückt Emotionen aus, unterstreicht die aus heutiger Sicht übertriebene Mimik der Schauspieler, schafft zusätzliche Dramatik oder nimmt mit gelegentlich ruhigeren, fast schon melancholischen Tönen etwas von der ungeheuren Spannung, die sich ins Parkett überträgt. Ein Monumentalfilm, der von der Kraft seiner Bilder lebt, von unzähligen Statisten, dem Wechsel zwischen Massenszenen und Porträt-Großaufnahmen der Darsteller. Aber eben auch ein Propagandafilm, in Auftrag gegeben von "Luther-Filmdenkmal. Zentralstelle für die Schaffung eines Lutherfilms", die Luther als Helden inszeniert haben wollte, was Regisseur von Hans Kyser entsprechend umsetzte. Bothmer kündigt das Werk als "evangelischen Propagandafilm mit Deutsch-Nationalem Einschlag an". Seine Musik solle dazu beitragen, etwas davon abzuwaschen und Luther komplexer darzustellen.

Ob ihm das so gelingt? Schwer zu sagen, da der Vergleich fehlt. Eine Originalmusik gab es zu jener Zeit nicht, jeder Spielort hatte seinen eigenen Pianisten, seine eigene Aufführungsmusik. Ein eindrucksvolles Beispiel, wie Musik die Aussage eines Stummfilms verändert, hat der meisterlich agierende Pianist zu Beginn des Abends geliefert. Er spielt einmal eine bedrohlich-agitierende Musik, dann eine sanfte, leise-beschwingte Melodie - jeweils zum selben Filmausschnitt, der pulsierendes Leben einer Großstadt zeigt. Sein Kommentar, einmal gehe es um eine von Außerirdischen bedrohte Stadt, das andere Mal hätten ihm Kinder als Interpretationsvorschlag die Empfindungen eines nach vielen Jahren in seine Heimatstadt Zurückkehrenden genannt.

Hochinteressant Bothmers etwa halbstündige Einführung, denn wer weiß heute schon noch, dass Stummfilme stets von Livemusik begleitet wurden und beileibe keine Schwarz-Weiß-Filme waren? Und dass die heutige Kinowerbung, Trailer, ja sogar die Eisverkäuferin Relikte aus der Stummfilmzeit sind, als nicht nur ein Hauptfilm gezeigt wurde, sondern dieser lediglich Teil eines acht bis 14-teiligen Programms war.

Als Kontrastprogramm zur schwer verdaulichen Kost des Lutherfilms hat Bothmer mit der Zahnpastawerbung "Der Zahnteufel" aus dem Jahr 1915 begonnen. Ein amüsanter Trickfilm, der mit einem dicken Kuss zwischen Zahn und Zahnbürste endet. Zu lachen gibt es für den Rest des Abends dann so gut wie nichts mehr. Der Film beginnt harmlos, mit der Wanderung des frischgebackenen Magisters Martin Luther heim zu den Eltern nach Wittenberg, wo er Kurrende-Kinder aus einer vom Schlagstock des Lehrers regierten Lateinstunde erlöst. Es folgen ein blutiges Duell in Erfurt, dem ein Freund Luthers zum Opfer fällt, seine stürmische Berufung während eines Unwetters, Geißelung im Kloster und schließlich sein Kampf gegen den Ablasshandel, der im Anschlag der 95 Thesen gipfelt, Luther vor den Kaiser bringt, wo er widerrufen soll, sein Aufenthalt als Junker Jörg auf der Wartburg, den er beendet, um den Bildersturm des Wittenberger Professors Andreas Karlstadt zu beenden. Ausgespart bleiben Luthers negative Rolle im Bauernkrieg, sein Judenhass und sein Privatleben - Katharina von Bora und die gemeinsamen Kinder passten wohl nicht ins damalige Bild.

Ein beeindruckender Abend, wenn auch, wie von Bothmer angekündigt, "schwer verdauliche Kost". Bewundernswert das Durchhaltevermögen des Künstlers, der zwei Stunden lang ohne die winzigste Pause in die Tasten greift - und das überwiegend mit Verve, markantem Anschlag und zugleich passgenau zum Film. Eine veritable Leistung, die vom - leider überschaubaren - Publikum mit engagiertem Applaus belohnt wird.