Nicht sofort die Trennung vorschlagen

26.11.2009 | Stand 03.12.2020, 4:27 Uhr

Erforscht die Folgen häuslicher Gewalt: Die Soziologin Prof. Barbara Kavemann bei ihrem Referat über die Risiken für Frauen und Kinder und deren Gesundheit. - Foto: Schattenhofer

Ingolstadt (smr) Mag sein, dass Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter von Jugendämtern und Beratungsstellen aus Ingolstadt und Umgebung ab sofort noch genauer hinschauen, noch genauer nachfragen.

Zumindest jene, die am Mittwochabend den Vortrag von Prof. Barbara Kavemann besucht haben, den der Arbeitskreis "Häusliche Gewalt" zum internationalen Tag der Gewalt gegen Frauen veranstaltet hatte (mit Unterstützung der Stadt Ingolstadt, der Audi-BKK, der Caritas und des Weißen Rings). Die Wissenschaftlerin sprach über die Risiken für Frauen und Kinder und deren Gesundheit und untermalte das mit Zitaten Betroffener, die unter die Haut gingen.

Ebenso die kurze Einführung von Frauenhausleiterin Marianne Frinken, die eine Passage aus dem Roman "Die Frau, die gegen Türen rannte" vorlas. "Er hatte schlechte Laune, und ich hatte eine kesse Lippe riskiert", erzählt darin Paula. Ein ausgekugelter Arm, Brandwunden, ausgeschlagene Zähne. Im Krankenhaus gezählt Paula, sie sei wieder von der Treppe gefallen. Aber im Innersten schreit sie: "Fragt mich doch endlich!"

So wie im Roman läuft es auch in der Realität. Frauen und auch die Kinder decken die Täter aus Scham und aus Angst. Kavemann warnte die Berater, immer sofort Trennung vorzuschlagen. "Das hat nicht nur positive Effekte. Wenn eine Frau Trennungsabsichten äußert, dann steigt die Gefahr enorm an." Man kennt den Standardspruch: "Wenn du mich verlässt, dann bring’ ich dich um."

Wissenschaftliche Studien haben übrigens ergeben, dass Männer im gleichen Maße wie Frauen häusliche Gewalt erfahren. 25 Prozent beiderlei Geschlechts bejahen diese Frage. Doch mit einem Unterschied: Bei Männer liegt die Verletzungsgefahr deutlich niedriger als bei Frauen. Am schlimmsten empfinden die Opfer übrigens verbale Attacken und Erniedrigungen: Die psychische Gewalt übertrifft noch die körperliche oder sexuelle.

Besonders eindringlich stellte die Referentin die enormen Belastungen für Kinder dar, die immer etwas von der Gewalt wüssten, auch wenn die Eltern glaubten, das verbergen zu können. Mehr als drei Viertel der Kinder erleben Gewalt sogar am eigenen Leibe, was im späteren Leben wiederum dazu führt, dass Söhne selber leichter gewalttätig werden und Töchter eher Gefahr laufen, selbst Opfer zu werden. Kavemann hat dazu 150 betroffene Kinder befragt, die in Unterstützungsangeboten betreut wurden.

Bei diesen Studien kam heraus, dass Kinder sich verantwortlich fühlen und ernorm unter Druck stehen, Gewalt zu verhindern. Gleichzeitig leiden sie unter Loyalitätskonflikten und starken Schuldgefühlen. Deshalb sei es besonders wichtig, ihnen die wahren Verantwortlichkeiten klar zu machen, so Kavemann. Wegen der erwiesenen Folgen für die Gesundheit der Kinder sei das Miterleben von häuslicher Gewalt von Behörden ebenfalls als Gefährdung des Kindswohls einzustufen.

Heftige Kritik übte die Wissenschaftlerin, dass Gerichte bei häuslicher Gewalt einerseits Kontakt- und Näherungsverbote gegen Täter aussprechen würden, ihnen aber gleichzeitig ein Umgangsrecht mit den Kindern einräumten. "Das führt zu absurden Situationen. Es ist doch unglaublich, dass Kinder gezwungen werden, ihre gewalttätigen Väter zu besuchen. Umgekehrt verlassen viele Väter ihre Kinder und werden nicht genötigt zum Umgang."