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Rauswurf aus dem Notquartier

Der Geiselnehmer hatte seit 8. August in der städtischen Unterkunft am Franziskanerwasser Hausverbot

20.08.2013 | Stand 02.12.2020, 23:46 Uhr

Erklärungsbedarf: Rund eine Stunde nach dem Zugriff der Polizei am Montagabend berichteten OB Alfred Lehmann, Polizeivizepräsident und Einsatzleiter Günther Gietl sowie Innenminister Joachim Herrmann (von links) erste Details über das Ende des Geiseldramas. Am Tag danach sind aber noch einige Fragen offen. Allen voran: Wie konnte es zu der schweren Straftat kommen? Und: Hat das von der Stadt ausgesprochene Hausverbot in der Notunterkunft für den Täter eine entscheidende Rolle gespielt - Foto: Hauser

Ingolstadt (DK) Er habe, so versichert Bruder Martin Berni, erst am Dienstagmorgen erfahren, um wen es geht. Doch als der Name des Geiselnehmers aus dem Ingolstädter Rathaus bei ihm in der Obdachloseneinrichtung kursierte, fiel es dem Leiter der Straßenambulanz St. Franziskus siedend heiß ein: „Den habe ich doch erst am Samstag gesehen!“

Zwei Tage vor dem Ingolstädter Geiseldrama war Berni dem späteren Täter im Luitpoldpark in die Arme gelaufen. „Er war vor rund dreieinhalb Jahren regelmäßig bei uns in der Einrichtung.“ Der Gründer und Leiter der Straßenambulanz beschreibt den jungen Mann so: „Er ist sehr schwierig. Um zu merken, dass er psychisch krank ist, muss man kein Fachmann sein.“ Der 24-Jährige sei auch am Samstag „psychisch total daneben“ gewesen, berichtet Bruder Martin. Ein Hilfsangebot schlug der verurteilte Stalker allerdings aus. Da er angab, er habe einen Betreuer und Arbeit, machte sich der Bruder, ein ehemaliger Franziskanermönch, weiter keine Sorgen. Auf eine Tat wie die Geiselnahme von vier Personen im Alten Rathaus habe nichts hingedeutet, erzählt Berni.

Als sie sich seinerzeit kennenlernten, lebte der psychisch kranke und Ende Juli verurteilte Stalker in der städtischen Notunterkunft am Franziskanerwasser, in der er – nach mehreren Episoden in psychiatrischen Krankenhäusern – zuletzt auch wieder gewohnt hatte; bis zum 8. August.

Die Stadtverwaltung bestätigte gestern, was der Verteidiger des Täters am Montag berichtet hatte: Dem 24-Jährigen war am Franziskanerwasser ein Hausverbot erteilt worden. „Der Bescheid wurde ihm am 8. August persönlich übergeben“, teilte Michael Klarner, Sprecher der Stadt, auf Anfrage mit. Der Anlass waren zwei Vorfälle, die sich laut Klarner Anfang dieses Monats ereignet haben: „Der Mann hat eine Mitarbeiterin des Ordnungsamtes bedroht und eine Sozialpädagogin in der Unterkunft am Franziskanerwasser sexuell belästigt. Weil die Stadt davon ausgeht, dass das fortgesetzt passiert, wurde das Verbot zum Schutz der Mitarbeiter sowie der Bewohner erlassen.“

Zugleich hatte die Stadt am 8. August die gegen den 24-Jährigen verhängten Hausverbote für die vier Rathäuser erneuert. Das war notwendig geworden, weil er vor seiner Verurteilung wegen Nachstellung (Stalking) Ende Juli fast zwölf Monate in geschlossenen psychiatrischen Einrichtungen verbracht hatte. „Denn solche Hausverbote gelten immer nur für ein Jahr“, erklärte der Sprecher der Stadt.

Die Frage, ob der Rauswurf des späteren Geiselnehmers aus dem Obdachlosenquartier der Stadt möglicherweise etwas zur Eskalation am Montag im Alten Rathaus beigetragen hat, bezeichnet Klarner als „reine Spekulation“. An derlei werde sich die Stadt keinesfalls beteiligen. „Schließlich können wir in den Mann nicht reinschauen.“ Die Sicherheit der Mitarbeiter in der Notunterkunft habe bei dieser Entscheidung Vorrang gehabt.

Das Verhalten des 24-Jährigen im Obdachlosenheim war bereits ein Anklagepunkt in der Verhandlung gegen ihn im Juni und Juli gewesen. So hatte einer der Betreuer ihn wegen Beleidigung angezeigt: Im Sommer vergangenen Jahres soll der 24-Jährige ihn einen „linken Drecksack“ genannt und als „feige Sau“ tituliert haben. Außerdem soll er eine Drohung ausgesprochen haben: „Ich komme mal abends vorbei, wenn keiner da ist.“ Vor Gericht sagte der junge Mann zu den Vorwürfen: „Ich wollte ihm nichts tun. Ich bin ab und zu etwas ruppig, aber ich würde nie jemanden verprügeln.“

Bis zur Geiselnahme am Montag hätte Bruder Martin Berni diese Aussage des Täters auch sofort unterschrieben. „Er ist nie aggressiv gewesen. Dass er nun so etwas macht, hätte ich nie glauben können“, sagt Berni nun. Sein Appell für das anstehende Gerichtsverfahren gegen den Geiselnehmer: „Der größte Fehler nach der Zeit in Haft, die er wohl absitzen muss, wäre es, ihn einfach wieder freizulassen. Man muss eine passende Betreuungseinrichtung für ihn finden.“