Ingolstadt
Tödlicher Stromschlag: Polizei sucht Zeugen

Ist das 16-jährige Unfallopfer in der Silvesternacht allein oder in Begleitung auf die Gleise am Hauptbahnhof gelangt?

02.01.2014 | Stand 02.12.2020, 23:15 Uhr

Aus gutem Grund wird vor den Oberleitungen der Bahn gewarnt. Sie können schon bei zu großer Annäherung gefährlich werden - Foto: Hauser

Ingolstadt (DK) Unterschätzte Gefahr, Unwissenheit, bodenloser Leichtsinn? Wie genau es zu dem tragischen Stromunfall in der Silvesternacht am Hauptbahnhof gekommen ist, war gestern, am Tag nach dem Auffinden des tödlich verunglückten 16-jährigen Ingolstädters neben einem Abstellgleis, weiterhin völlig unklar.

Die Polizei erhofft sich aber Aufschlüsse durch eine für heute angeordnete Obduktion des Toten und durch mögliche Hinweise von etwaigen Zeugen, die jedoch erst noch gesucht werden müssen.

Wie bereits gestern kurz berichtet, war die Leiche des Jugendlichen am Neujahrstag neben einem wohl schon länger auf einem Rangiergleis abgestellten Güterwaggon gefunden worden. Ein Bahnarbeiter hatte den Toten, der offenbar vom Dach des Wagens gestürzt war, gegen 16 Uhr entdeckt und die Polizei verständigt. Die Leiche wies durch Starkstromeinwirkung verursachte Brandverletzungen – sogenannte Strommarken – auf. Für die Ermittler steht deshalb fest, dass der junge Mann auf den Waggon geklettert war und dort einen Stromschlag durch die Oberleitung erlitten hat. Hinweise auf Fremdeinwirkung wurden nicht entdeckt.

Für Familie, Freunde und Bekannte des Jugendlichen ist die Nachricht ein furchtbarer Schock. Die Polizei hält sich zwar mit Einzelheiten zu den Umständen zurück, doch wurde gestern bestätigt, dass der 16-Jährige am Silvesterabend gegen 20 Uhr mit Freunden von zu Hause aufgebrochen war, um den Jahreswechsel in Gesellschaft zu verbringen. Wann genau in dieser Nacht dann sein Weg zum Hauptbahnhof führte und ob er dabei allein oder weiterhin in Begleitung war, das entzog sich zumindest gestern noch der Kenntnis der Ermittler, die deshalb einen Zeugenaufruf gestartet haben: Wer mit dem jungen Mann in der Silvesternacht unterwegs war oder wer irgendwann in der Nacht zum Mittwoch einen oder mehrere Jugendliche am Hauptbahnhof bzw. an den Gleisanlagen gesehen hat, der sollte sich unbedingt unter der Rufnummer (08 41) 93 43-0 bei der Polizei melden.

Die Oberleitungen der Bahn stehen mit 15 000 Volt Wechselstrom unter Spannung. Solche Starkstromleitungen können schon gefährlich werden, wenn man nur in ihre unmittelbare Nähe gerät. Wie ein Fachmann der Ingolstädter Stadtwerke dem DK auf Anfrage erklärte, besteht bei Annäherung an eine solche Leitung grundsätzlich die Gefahr des Überspringens eines sogenannten Lichtbogens. Diese Erscheinung kann je nach Luftfeuchtigkeit und sonstigen Umgebungsbedingungen bereits ab etwa ein bis zwei Metern Annäherung an Strom führende Teile auftreten.

Das Opfer eines solchen Starkstromschlags wird dann – und sei es nur für Sekundenbruchteile – von ultraheiß erhitzter Umgebungsluft (Physiker sprechen von einem Plasma) erfasst und erleidet so meistens schwerste Verbrennungen, die allein schon tödlich sein können, weil das im Körpergewebe enthaltene Wasser durch die Erhitzung innerhalb von Millisekunden zum Kochen gebracht wird. Solche Verletzungen werden auch bei Menschen oder Tieren festgestellt, die direkt vom Blitz getroffen wurden oder die sich bei einem Gewitter unmittelbar neben einem Einschlagspunkt aufgehalten haben.

Wie Florian Demetz, ärztlicher Leiter der Notaufnahme am Ingolstädter Klinikum, verdeutlicht, besteht bei Stromschlägen grundsätzlich auch immer die Gefahr von länger anhaltenden Herzrhythmusstörungen oder akutem Herzstillstand – dies gerade auch bei elektrischen Unfällen mit „normalem“ 220-Volt-Wechselstrom im Haushalt oder bei handwerklicher Arbeit. Das Klinikum führt hier zwar keine Statistik, doch geht Demetz nach seiner Erfahrung davon aus, dass derlei Vorfälle im Einzugsgebiet des Krankenhauses etwa zwei- bis dreimal im Monat Notfallbehandlungen notwendig machen. Eine medizinische Begutachtung ist bei solchen Unfällen, auch wenn zunächst keine Verletzungen ersichtlich sind, immer ratsam.