Ingolstadt
Der Schlüssel zum Erfolg

Höhere Gebühren und Betreuungsnöte: Politiker diskutieren Maßnahmen bei der Kinderbetreuung

24.11.2016 | Stand 02.12.2020, 19:00 Uhr

Gut drei Stunden lang diskutierten am Mittwochabend Professor Jens Kratzmann, Maria Frölich von der Elterninitiative In.Fam, Achim Werner (SPD), Barbara Leininger (Grüne), Moderator Thorsten Stark (DONAUKURIER), Thomas Thöne (ÖDP), Jürgen Siebicke (BGI), Markus Reichart (FW) und Christina Hofmann (CSU, von links) über das Thema "Kitas unter Druck". Eingeladen hatte In.Fam vor der Entscheidung im Stadtrat über Kürzungen bei der Kinderbetreuung. - Foto: Brandl

Ingolstadt (DK) Am Donnerstag entscheidet der Stadtrat über die geplante Anhebung des Personalschlüssels in den städtischen Kitas. Das Vorhaben sorgt - neben der zuletzt zweimaligen Gebührenerhöhung - für reichlich Protest bei Eltern und in Fachgremien. Am Mittwoch kam es zur Diskussion mit Politikern.

Die Besetzung der von DK-Lokalredaktionsleiter Thorsten Stark moderierten Podiumsdiskussion der Elterninitiative In.Fam in der MTV-Gaststätte erschien etwas unausgewogen. Denn auf dem Podium befand sich die Mehrheitskoalition im Stadtrat aus CSU und FW mit den beiden Vertretern Christina Hofmann und Markus Reichart in der Minderheit. Mit ihren Argumenten für die Anhebung des Schlüssels, die von den Kritikern als bloße Einsparung im Haushalt angesehen wird, mussten sie sich behaupten gegen eine breit aufgestellte Opposition und den Gegenwind aus den Reihen der Elternvertreter und Fachkräfte im Publikum. Nicht gerade in die Hände spielte den Befürwortern zudem der einleitende Vortrag von Jens Kratzmann, Professor für Pädagogik der frühen Kindheit an der KU Eichstätt, den der Veranstalter, die Familieninitiative In.Fam, hinzu gebeten hatte. Der stellte ein Konzept der pädagogischen Qualität vor, das im Sinne des Kindes und der Familie aufgebaut ist. Die Empfehlung der Bertelsmann-Stiftung darin: eine Fachkraft-Kind-Relation im Verhältnis 1:7,5 bei Kindern von drei bis sechs Jahren. Damit wäre man in Ingolstadt mit einem, wenn auch vorerst befristeten Schlüssel von 1:10,5 ein gutes Stück entfernt.

Hofmann und Reichart sagten, dem Schlüssel werde ohnehin eine überhöhte Bedeutung beigemessen, hätten die Kinder - abhängig von Alter, Tagesform und Selbstständigkeit - doch unterschiedliche Bedürfnisse bei der Betreuung. Vielmehr trage er dazu bei, dass genug Betreuungsplätze geschaffen würden. Sie könne, trotz der Anhebung, noch in den Spiegel schauen, betonte Hofmann. Die guten Bewertungen, die Eltern zu den Kitas abgeben, zeigten dies.

Ein höherer Schlüssel und zugleich Gebührenerhöhungen, das passe nicht zusammen, sagte Achim Werner (SPD). Statt Bildung und Betreuung zu sichern, verschlechtere sich die Qualität. "Und die Eltern sollen dafür zahlen." Er plädierte für kostenfreie Bildung landesweit. "Optimale Zustände sind nicht zu schaffen", sagte Barbara Leininger (Grüne). In frühkindliche Bildung müsse jedoch weiter investiert werden. Die Entlastung des Kita-Personals durch externe Küchenkräfte, die man lange angemahnt habe, werde durch die Anhebung konterkariert.

"Die Maßnahmen sind keine Einsparungen, sondern sichern einen Teil der Qualität", setze Reichart dagegen. Auch das Argument, der Schlüssel nähme keine Rücksicht auf die Entwicklung von Kindern mit Migrationshintergrund, wie er von In.Fam-Sprecherin Maria Frölich vorgebracht wurde, ließ er nicht gelten. Diese Gruppe habe ohnehin einen anderen Schlüssel. So kämen im Kinderhaus Marienheim, wo Reichart als Stiftungsvorsitzender eingesetzt ist, auf zwölf Krippenkinder sowie auf 20 Kindergartenkinder jeweils zwei Betreuerinnen, die von Praktikantinnen unterstützt würden. "Bei 15 Prozent aller Kitas erfolgt eine Kostenübernahme", entkräftete Hofmann die Befürchtung Fröhlichs, 30 Prozent höhere Gebühren seien für sozial schwache Familien "durchaus spürbar". Ihr seien auch keine Hemmschwellen bekannt, die die Familien von der Beantragung abhielten, wie Thomas Thöne (ÖDP) es schilderte. Er wandte sich strikt dagegen, "Sozialpolitik nach Kassenlage zu machen" und forderte gerade in Krisenzeiten ein "antizyklisches Verhalten". Angesichts des Fachkräftemangels warb er zudem dafür, vernünftige Rahmenbedingungen für das Personal zu schaffen. "Kitas sollen Menschen formen. Mit gestressten Erzieherinnen gelingt das nicht", sagte er.

Jürgen Siebicke (BGI) wünschte sich für Bayern Verhältnisse wie in Baden-Württemberg, das laut Kratzmann einen Personalschlüssel von 1:7,1 hat. Dort habe man, so der Experte, in Qualifizierung investiert und mit 11 000 Kindheitspädagogen den Fachkräftemangel reduziert. Er gab auch zu bedenken: Der Bund könnte den Schlüssel bald vorschreiben. Dahin gehend lautete auch eine Frage aus dem Publikum: "Warum geht man in Ingolstadt gegen den Trend", wollte eine Mutter wissen. Siebicke sah den Grund in einer überholten Familienpolitik der CSU - was wiederum die CSU-Stadträtin Hofmann zurückwies.

Abgekämpft verließen die Diskutanten auf dem Podium und im Publikum nach drei Stunden den Saal. Viele Argumente waren ausgetauscht worden - letztendlich wusste aber doch jeder: Am erwarteten Ergebnis im Stadtrat wird sich wohl doch nichts ändern. Immerhin versprach Reichard: Sollte sich die Anhebung des Schlüssels so negativ wie von vielen Anwesenden befürchtet auswirken, werde er sich für eine Rücknahme der Maßnahme starkmachen.