Ingolstadt
"Wir gehen jeden Tag über diesen Boden"

Schüler suchen nach den Spuren des Ersten Weltkriegs in Ingolstadt

19.05.2014 | Stand 02.12.2020, 22:40 Uhr

 

Ingolstadt (DK) Während sich ihre Klassenkameraden im Freibad verabreden oder die Pfingstferien planen, treffen sich an der Fronhofer-Realschule und dem Katharinen-Gymnasium einige Schüler in ihrer Freizeit, um der Ingolstädter Geschichte im Ersten Weltkrieg nachzuspüren. Das beginnt schon auf dem Schulgelände.

Es war ein Barackenlager unweit des Ingolstädter Stadtkerns, in das man den verletzten Andreas Werner brachte. Seit einem knappen Jahr tobte der Erste Weltkrieg und der 24-jährige Soldat war wohl in einer der Schlachten an der Westfront verwundet worden. Am 25. Mai 1915 ritzte er seinen Namen in einen der roten Ziegel in der Wand einer Baracke, dazu den Namen seiner Einheit: das 10. Königlich Bayerische Infanterieregiment aus Ingolstadt.

Knapp 100 Jahre später ist der beschriftete Backstein noch immer deutlich zu sehen – in der Wand des Kollegstufengebäudes des Katharinen-Gymnasiums, das an der Stelle erbaut wurde, wo Werner und tausende andere Verwundete des Krieges versorgt worden waren. Architekt Hardt-Waltherr Hämer hatte den Stein aus der einstigen Baracke in das moderne, 1970 eingeweihte Gebäude integriert. Er erinnert so an die bewegte Geschichte des Ortes. „Wir gehen jeden Tag über diesen Boden“, sagt die 17-jährige Elena Starke. Auch 100 Jahre nach dem Ausbruch des Ersten Weltkriegs sei es noch wichtig, sich mit dem Thema zu beschäftigen, ist die Schülerin überzeugt. Vor allem, da der Erste Weltkrieg im Unterricht immer „im Schatten des Zweiten Weltkriegs“ steht, wie sie findet. Deswegen hat sie sich – gemeinsam mit 29 anderen Jugendlichen – an dem schulartübergreifenden Projekt zum Ersten Weltkrieg beteiligt (siehe Kasten). In ihrer Gruppe beschäftigt sie sich unter anderem mit dem Lazarettwesen. „Ich hätte nicht gedacht, dass es in Ingolstadt so viel zum Ersten Weltkrieg gibt“, sagt Viktoria Birner, die ihre Freizeit ebenfalls für das Geschichtsprojekt opfert. „Viele meinen, der Krieg hat nur an der Front stattgefunden“, pflichtet ihr Starke bei. „Dabei war er hier, mitten in Deutschland.“

Karolin Mäde ist von der Geschichte ebenfalls fasziniert. „Vor allem, wenn man sie regional betrachtet, ist es sehr interessant“, hat sie während des Projektes festgestellt. Deswegen sei unter anderem geplant, in der Ausstellung eine Karte zu zeigen, auf der die Standorte von Kriegsgefangenenlagern in Ingolstadt eingezeichnet werden, erklärt die 17-Jährige. Auch wenn es davon in Ingolstadt und dem Umland „eine ganze Menge“ gegeben habe, wie die Jugendlichen wissen, sei darüber relativ wenig bekannt. Fotos gäbe es kaum. Wohl auch, weil man auf diesen Teil der Geschichte „nicht gerade stolz“ war, vermutet Starke.

Geschichtslehrer Matthias Schickel, der die Projektgruppen am Katherl betreut, ist vom Forschungselan der Jugendlichen angetan. Sie hätten sich eine „Riesenarbeit“ gemacht, auch wenn alleine die Terminkoordination angesichts vieler Schulaufgaben und Nachmittagsunterricht nicht gerade einfach sei. „Und das alles freiwillig“, betont er. Benotet würden die Arbeiten nicht, es gebe lediglich einen Zeugnisvermerk.

Unterstützt werden die Schüler bei ihren Forschungen unter anderem vom Stadtarchiv. Veronika Peters steuert historische Postkarten bei. Das Apian-Gymnasium stellt für die Ausstellung sein Modell des Reservelazaretts am Ingolstädter Bahnhof zur Verfügung. Die Sanitätsakademie der Bundeswehr in München hat den Nachwuchshistorikern für ihre Ausstellung ein historisches Operationsbesteck und ein Bett, wie sie in den Ingolstädter Lazaretten vor 100 Jahren zum Einsatz gekommen sind, in Aussicht gestellt.

Bei ihren Forschungen arbeiteten die Schülerinnen des Katharinen-Gymnasiums auch eine Liste der Gefallenen des 10. Bayerischen Infanterieregiments aus Ingolstadt durch. Jede Seite kopierten und laminierten sie, um sie in die Ausstellung integrieren zu können. Das Ergebnis ist ein zwölf Meter langes Band, beidseitig eng mit Namen beschriftet. Hier fanden sie auch Andreas Werner wieder. Ein gutes Jahr, nachdem er in Ingolstadt seinen Namen in den Ziegel schrieb, wurde er bei Verdun abermals schwer verwundet. Knapp zwei Wochen später war er tot.