Ingolstadt
Schritt für Schritt über den Abgrund

Armin Popa balanciert auf der ganzen Welt – manchmal geht es mehrere hundert Meter in die Tiefe

19.07.2013 | Stand 02.12.2020, 23:53 Uhr


Ingolstadt (DK) Angefangen hat er auf einer Slackline zwischen Bäumen im Klenzepark – doch das ehemalige Landesgartenschaugelände ist Armin Popa inzwischen viel zu klein. Der Ingolstädter reist durch die Welt, immer höher und immer länger werden die Drahtseilakte.

Ungefähr 400 Meter sind es bis zum Boden. Das Leben hängt an einem etwa daumenbreiten Polyesterband, das bei jeder Bewegung gefährlich mitschwingt. Die Arme pendeln in der Luft, schwingen von einer Seite auf die andere. Langsam setzt Armin Popa einen Fuß vor den anderen, Schritt für Schritt geht es über den Abgrund.

Das Ganze ist nur ein „kurzer Zwischenstopp“, den er und seine Freunde beim italienischen Städtchen Arco eingelegt haben, wie der Ingolstädter erzählt. Denn eigentlich sind sie auf dem Weg an die Amalfiküste, der Halt nördlich des Gardasees bot sich allerdings an: In mehreren hundert Metern Höhe liegt den Slacklinern ein eindrucksvolles Panorama zu Füßen – sich auf das Band zu wagen, kostet jedoch Überwindung. „Du kannst dem Kopf nicht einfach sagen, es ist sicher, nur weil du weißt, die Line hält es aus und nichts kann passieren“, erzählt Armin Popa. Der Ingolstädter läuft seit etwa fünf Jahren über Slacklines, dennoch ist der erste Schritt auf dem Polyesterband für ihn noch immer keine leichte Übung. „Die Angst wird immer bleiben, wie beim ersten Tag“, sagt er. „Aber trotz dieser Angst muss man es einfach machen.“ Sein persönliches Rezept gegen die Aufregung: Neil Young im Ohr, das eine oder andere Lied von den Smashing Pumpkins oder – wenn nötig – auch härtere Musik. „Dann kommt man gedanklich in einen Tunnel rein“, erklärt Popa. „Denn sobald man anfängt zu überlegen, ist es vorbei.“

 
Slacklinen ist seit einigen Jahren in Deutschland bekannt, die Szene in Ingolstadt ist allerdings noch überschaubar. Die Trendsportart ähnelt dem klassischen Seiltanz jedoch nur auf den ersten Blick: Denn beim Slacklinen ist das Band nicht straff gespannt, es gibt unter der Last des Läufers nach und dehnt sich. Genau das verlangt dem Sportler einiges ab, schließlich muss er die Schwingungen des Polyesterbandes ständig ausgleichen, um die Balance zu halten. Und obwohl der Balanceakt für Zuschauer meist lässig aussieht, als wäre es ein Leichtes für die Sportler, das Gleichgewicht zu halten, täuscht dieser Eindruck. „Es ist harte Arbeit“, sagt Popa.

Nach der kurzen Rast in Arco geht es für den Ingolstädter und die anderen Mitglieder der Slackline-Gruppe One Inch Dreams weiter an die Amalfiküste im Westen Italiens – wo sie noch mehr harte Arbeit erwartet. „Das war das erste Projekt, das ich selbst geplant habe“, sagt Popa. Zwischen einem freistehenden Turm im Wasser und der Küste wollte er eine Slackline spannen, „nur“ 30 Meter hoch und genauso lang. Zwei Tage dauern allein die Vorbereitungen: Immer wieder müssen die Sportler mit einem Schlauchboot hinauspaddeln, sich überlegen, wie sich das Band sicher befestigen lässt und die Slackline möglichst straff ziehen. „Wenn man es dann geschafft hat, ist das ein unglaubliches Erfolgserlebnis“, erzählt der Ingolstädter. Obwohl das Band nicht sonderlich hoch über dem Boden gespannt ist, fällt Popas Urteil eindeutig aus: „Das war eine der schönsten Lines, die ich je gelaufen bin: Unter einem das Meer, ständig sind Schiffe durchgefahren.“

Popas Weg zum Slacklinen war dabei beinahe klassisch. „Ich bin selbst durch das Klettern dazu gekommen“, erinnert sich der 27-Jährige an das Jahr 2008. Eigentlich der Standardeinstieg in die Trendsportart: „Früher sind alle durch das Klettern dazu gekommen.“ Bis der Ingolstädter jedoch eine Slackline von 50 Metern schaffte, dauerte es etwa zwei Jahre. Diese sogenannten Long Lines sind besonders anspruchsvoll: Je länger das Polyesterband, desto leichter gerät die Slackline in Schwingung und desto größer sind die Pendelbewegungen. 100 Meter schaffte Popa nach drei Jahren. „Ich war selbst nicht der Talentierteste“, gibt er zu. Heute allerdings reist er zu Festivals in Österreich und der Schweiz, spannt Slacklines in Italien und Bulgarien und hat ein Auge auf Rumänien geworfen. Dennoch hat auch die Schanz für ihn noch etwas in petto: An diesem Wochenende spannen Popa und die Mitglieder von One Inch Dreams eine Slackline mitten in der Stadt – zwischen Pfeifturm und dem Kirchturm von St. Moritz.