Ingolstadt
Schöne Grüße aus dem Feindesland

Das Stadtarchiv ist nach einem Aufruf um viele Fotos aus der Zeit des Ersten Weltkriegs reicher

19.01.2014 | Stand 02.12.2020, 23:11 Uhr

 

Ingolstadt (DK) Das Stadtarchiv ist seit Samstag um zahlreiche Preziosen reicher. Viele Schanzer folgten dem Aufruf, Fotos aus der Zeit des Ersten Weltkriegs zu bringen, die in Ingolstadt aufgenommen wurden oder einen Bezug zur Stadt haben. Dabei kam manche bisher unbekannte Ansicht zum Vorschein.

Der Sieg ließ zwar immer noch auf sich warten, aber lang konnte es eigentlich nicht mehr dauern, denn der Krieg währte schließlich schon fast ein Jahr. Also schickte der 27-jährige Maschinengewehrschütze Johann Picker zuversichtliche Grüße aus dem feindlichen Frankreich (von wo genau, durfte er nicht verraten) an die Lieben daheim in Ingolstadt. „Auf ein baldiges Wiedersehen“, schrieb er am 28. April 1915 auf eine Feldpostkarte. Die Rückseite zeigt das Foto einer Gruppe ernst dreinblickender Soldaten. Sie halten eine Tafel ins Bild, auf der steht: „Erinnerung an die große Zeit 1914/15“. Johann Picker ist der Zweite von rechts. Die Zeit, die er erlebte, war alles andere als großartig. Sondern grauenhaft. Aber immerhin: Er kehrte zurück. Allerdings erst 1918.

96 Jahre später legt Adolf Picker, der 1928 geborene Sohn des Weltkriegsveteranen, die gut erhaltene Karte im Stadtarchiv vor dem Militärhistoriker Thomas Müller auf den Tisch. „Viel hat mein Vater nicht vom Krieg erzählt“, sagt Picker. Und wenn, dann von der quälenden Monotonie im Schützengraben. „Es war ja ein Stellungskrieg, es gab fast keine Bewegung.“ Er selbst hat 1944/45 an einem Flak-Geschütz die Krauss-Maffei-Werke bei München verteidigt. Die Weltkriege des 20. Jahrhunderts – sie überschatten nahezu jede Familiengeschichte in Europa.

Im Ersten Weltkrieg haben die deutschen Soldaten zig Millionen Feldpostbriefe und -karten in die Heimat geschickt, ein Teil davon mit aufgeklebten Fotos. „Die Motive mussten alle durch die Zensur“, erklärt Müller, ein Mitarbeiter des Bayerischen Armeemuseums, „denn es durfte nichts gezeigt werden, was den Krieg ausmacht, also eigene Tote oder Verstümmelte.“ Die Armeeführung habe nur Bilder erlaubt, auf denen harmlose Verletzungen zu sehen waren, „etwa Soldaten mit Armbinden“. Eine funktionierende Feldpost diene als „wesentliches Führungselement, um die Moral der Truppe hochzuhalten“, erklärt Müller. „Sie ist deshalb fast so wichtig wie die Verpflegung.“

Doch es sind nicht nur Militärmotive, die viele Ingolstädter zur Begutachtung und Dokumentierung ins Archiv bringen, sondern auch zahlreiche Stadtansichten und Alltagsfotografien aus dem Ingolstadt vor 100 Jahren. Magdalena Lörch sammelt mit Leidenschaft historische Postkarten. „Vor allem wegen der schönen alten Sütterlinschrift.“ Dann blättert sie Aufnahmen auf den Tisch, die selbst der erfahrene Stadtarchivar Edmund Hausfelder noch nicht gesehen hat. Beeindruckt betrachtet er bis dato unbekannte Impressionen aus der Ingolstädter Geschützgießerei, eine „besonders schöne Ansicht der Tränktorkaserne“ und zu seiner Freude auch viele Fotografien, die Menschen zeigen. Auf einem Exemplar aus Lörchs Sammlung stehen Männer und Frauen in Arbeitskleidung vor einem Haus, im Hintergrund ist der Schriftzug „Wachswaren“ zu erkennen. Hausfelder identifiziert das Motiv: „Das ist die bis heute bekannte Bürstenfabrik Bruckmayer am Kreuztor.“

Für Beatrix Schönewald hat sich der Tag wirklich gelohnt. Die Leiterin des Stadtmuseums und des Stadtarchivs bekommt nicht nur stapelweise Fotos, die in ihrem Haus digitalisiert werden und wieder in die privaten Sammlungen heimkehren – einige Besucher lassen die Bilder für immer da und schenken sie dem Stadtarchiv. „Das freut uns unglaublich!“, sagt die Historikerin. Sie schätzt vor allem private, schön beschriftete Fotoalben, „weil man mit ihnen vieles namentlich zuordnen kann“. Das sei ein Segen für die Heimatforschung. „Ich schwelge in Familiengeschichten!“ Und strahlend klappt Beatrix Schönewald das nächste Album auf.

Doch die Historiker richten den Blick auch in die Zukunft. Stichwort Archivierung von Fotos. „Wie steht es um die Digitalaufnahmen in 100 Jahren“, fragt etwa Thomas Müller. „Die heutigen Speichermedien halten nicht so lang, außerdem hat man in 100 Jahren nicht mehr die Geräte, sie anzuschauen.“ Der technisch versierte Archivmitarbeiter Klaus Klügl sieht dasselbe Problem: „CDs halten selten länger als 20 Jahre. Festplatten sind ganz gefährlich. Da können ein Softwarefehler oder ein mechanischer Defekt schon nach wenigen Jahren zu einem Datenverlust führen.“ Der Konservierungsexperte rät deshalb: Erhaltenswerte Fotografien immer auch noch auf Papier abziehen lassen. „Denn Papier ist nach wie vor das zweitsicherste Speichermedium – gleich nach der Steintafel.“