Ingolstadt
Nicht viel mehr als das bloße Überleben

Zweiter Weltkrieg und Balkankriege: Ingolstadt hat schon tausende Flüchtlinge aufgenommen

23.10.2014 | Stand 02.12.2020, 22:05 Uhr

Glück im Unglück: Diese in Ingolstadt gestrandete bosnische Familie wurde Anfang 1993 von einer Rentnerin aufgenommen. Arch - foto: Herbert

Ingolstadt (DK) „Ein großes Problem für die Organisation der Öffentlichen Fürsorge ist die große Zahl an Flüchtlingen, die in dieses Gebiet gebracht werden. Diese Flüchtlinge besitzen nichts. Viele tragen nicht einmal geeignete Kleidung am Leib.

Die Integration der Vertriebenen nach 1945 hat der Ingolstädter Historiker Tobias Schönauer erforscht. Bis 1950 kamen über 11 000 Flüchtlinge nach Ingolstadt – sie bildeten ein Viertel der Bevölkerung! Die meisten von ihnen waren Sudetendeutsche, so Schönauer im Katalog zur 2008 gezeigten Ausstellung über Flucht und Vertreibung.

Zur Unterernährung und der ohnehin äußerst schwierigen Versorgungslage kam hinzu, dass die Flüchtlinge kaum Geld hatten. Heute nicht mehr vorstellbar war die Wohnungsnot und die Unterbringung der Vertriebenen, da rund ein Viertel der Stadt zerstört war. Die meisten wurden bei Privatleuten einquartiert, was bedeutete, Wohnraum, Küche und sanitäre Anlagen mit wildfremden Leuten zu teilen. Damals durften die Flüchtlingskommissare tatsächlich Wohnraum dafür beschlagnahmen, was sie auch taten. Die Einheimischen waren nicht immer erfreut darüber, es kam zu Spannungen.

Katastrophal war die Situation in der Flandernkaserne, die von 1946 bis Ende 1952 als Massenlager diente. Laut Schönauer waren zeitweise bis zu 1300 Menschen dort untergebracht, mehr als 30 Leute mussten sich einen größeren Raum teilen. Es gab keinerlei Privatsphäre, sondern nur Decken als Sichtschutz. Kleinigkeiten führten zu Auseinandersetzungen. Duschen war nur alle 14 Tage möglich, mehrmals musste alles desinfiziert werden. Doch mit dem Bau von Wohnungen nach der Währungsreform und dem Wirtschaftswunder gelang es, die Flüchtlinge zu integrieren sowie genügend Wohnungen und Arbeitsplätze zu schaffen.

Die zweite große Flüchtlingswelle erreichte Ingolstadt wie auch viele andere Städte in den 90er Jahren als Folge der Balkankriege. Zeitweise lebten über 1000 Menschen aus dem ehemaligen Jugoslawien in Ingolstadt, darunter viele Kinder. Die größten Volksgruppen waren Bosnier, Kroaten und Kosovo-Albaner. Der rechtliche Status dieser Menschen war unterschiedlich: Asylbewerber, geduldete Flüchtlinge und Besucher von Verwandten.

Nachdem Mitte 1986 die Unterbringung von über 100 Flüchtlingen aus Ungarn und dem Nahen Osten in der früheren Pension Post in der Gymnasiumsstraße zu heftigen Protesten geführt hatte, kamen Ende 1991 die ersten 300 kroatischen Flüchtlinge nach Ingolstadt. Die meisten wohnten bei Verwandten, beantragten kein Asyl und wollten wieder zurück in die Heimat. Weil der Staat die Menschen nicht unterbringen konnte, mietete die Stadt Wohnungen und Häuser an und griff auch zu ungewöhnlichen Maßnahmen: Die Aula der Berufsschule diente ebenso als Unterkunft wie Pfarrhäuser, Holzbaracken, Wohncontainer oder Wohnwagensiedlungen.

Schon damals hatten einige Ingolstädter Befürchtungen, die Kriminalität würde steigen oder die Immobilienpreise sinken. Zeitweise ging die Angst vor Anschlägen um. Doch Stadt und Kirchen, engagierte Bürger und Vereine warnten vor Ausländerhass, kümmerten sich um die Menschen und spendeten für sie. Nach der Anerkennung der ersten Staaten am Balkan, Beschlüssen der Innenminister und einer Änderung der Anerkennungskriterien durch den Bundestag wurden die meisten nur noch als Flüchtlinge geduldet, die wenigsten erhielten Asyl. Ab Mitte der 90er Jahre begannen dann die Abschiebungen in die Heimatländer.