Ingolstadt
Kinder, Kinder

Die Zahl der Geburten in Ingolstadt schnellt nach oben – Zwei Statistiker erklären die Entwicklung

20.02.2015 | Stand 02.12.2020, 21:37 Uhr

Willkommen auf der Welt! Julian wurde am Mittwoch im Klinikum geboren. Der 54 Zentimeter große und knapp vier Kilo schwere Bub ist das zweite Kind von Doreen und Markus Wunderlich aus Manching. Neben den glücklichen Eltern: die stellvertretende Stationsleiterin Doris Wild. Die Babywaage ist nicht mehr in Gebrauch. Sie dient im Stillzimmer des Mutter-Kind-Zentrums als Dekoration. - Foto: Hauser

Ingolstadt (DK) Ingolstadt erlebt einen Baby-Boom. Die Geburtenzahlen steigen seit 2011 sprunghaft. Die wirtschaftliche Blüte spielt dabei eine wichtige Rolle, es kommen aber viele weitere Faktoren hinzu, erklären die Statistiker der Stadt, Helmut Schels und Ulrich Kraus.

Freudige Erwartungen überall. Und Babygeschrei aus jeder Ecke. Als Doreen Wunderlich mit ihrem Mann Markus am Sonntag zur letzten Untersuchung kam, ging es ziemlich zu im Mutter-Kind-Zentrum des Klinikums. „Unsere Hebamme hat uns schon vorgewarnt, dass da viel los sein wird“, erzählen die zwei. Als es am Mittwoch ernst wurde, reihten sie sich in die Schar der werdenden Eltern ein. Dann kam er: Julian. 54 Zentimeter groß, 3960 Gramm schwer und munter. Er ist das zweite Kind seiner glücklichen Eltern. Julians Schwester Laura ist zweieinhalb. An Spielkameraden wird es ihnen nicht mangeln, denn im Bekanntenkreis der Wunderlichs folgt Niederkunft auf Niederkunft. „Wir könnten mit unseren Freunden eine Krabbelgruppe eröffnen“, erzählen die jungen Eltern.

So wie viele andere Familien. Denn Ingolstadt und die Region erleben einen Baby-Boom.

 

Die Zahlen
Im Ingolstädter Klinikum wurden im vergangenen Jahr mehr als 2400 Kinder geboren; dazu kommen im Stadtgebiet die Maul-Klinik, das Geburtshaus und die Geburten daheim. Für die städtische Statistik sind die Kinder relevant, die auch in Ingolstadt wohnen. Bis 2012 schwankte die Zahl der neugeborenen Ingolstädter lang um die 1200 pro Jahr – plus, minus 50. 2013 kamen 1325 Schanzer auf die Welt. Im vergangenen Jahr waren es schon 1431. Wie ist dieser Sprung zu erklären? Helmut Schels und Ulrich Kraus, die Statistiker der Stadt, kennen viele Faktoren.

 

Zuzug und Geburtenquote
Man muss zwei Größen separat betrachten, sagen die Experten: Wie viele potenzielle Eltern leben in der Stadt? Und wie viele Kinder bekommen Frauen im Durchschnitt? In beiden Statistiken zeigen die Kurven nach oben – bei der Geburtenquote leicht, beim Zuzug extrem steil. Wer in den vergangenen fünf Jahren in Ingolstadt eine Wohnung gesucht hat, weiß von dieser Entwicklung leidvoll zu berichten. 2011 überstieg die Zahl der Zuzüge die Zahl der Wegzüge um 1631 (siehe die Grafik), 2012 waren es 1720. Im Jahr 2013 gab es ein Plus von 1074. 2014 waren es sogar 1800. Für die Geburtsstatistik ist die Gruppe der Frauen im Alter zwischen 15 bis 49 relevant. Bei den Ingolstädterinnen deutscher Herkunft sank hier die Anzahl seit 2010 zwar von 24 000 auf 23 400 – aber diese bekamen durchschnittlich etwas mehr Kinder: Die Geburtenquote stieg von 1,31 Kindern je Frau (im Zeitraum von 2007 bis 2010) auf jetzt 1,36. Bei den Migrantinnen sank dieser Wert im selben Zeitraum von 1,81 auf 1,60 Kinder je Frau. „Die Ingolstädterinnen ausländischer Herkunft nähern sich also dem deutschen Niveau an“, erklären die Statistiker. Und sie werden mehr. 2014 lebten 6800 Frauen im Alter zwischen 15 und 49 mit ausländischen Wurzeln in der Stadt, 2010 waren es noch 5250. „Insgesamt ist seither die Zahl der möglichen Mütter also um rund 1000 gestiegen.“ Das bleibt nicht ohne Wirkung auf die Geburtenzahl. „Und doch ist es nur ein Baustein von vielen.“

 

Der Lockruf der Boomtown
Ingolstadt brummt. Immer lauter. Vollbeschäftigung, hohe Lebensqualität, schöne Zukunftsaussichten – das zieht. „Wir erleben Zuwanderung aus ganz Europa in den Arbeitsmarkt“, berichtet Schels. „Denn die Arbeitslosenzahlen und die Arbeitslosengeld-II-Quote steigen nicht. Das bedeutet: Sie finden alle Arbeit. Da traut man es sich, Kinder zu bekommen.“ Ingolstadt sei „glimpflich aus der Finanzkrise 2009 herausgekommen“, ergänzt Kraus. Seit 2011 steigen die Geburtenzahlen auffällig stark, „und wir haben zugleich diesen wahnsinnigen Zuzug“. Klare Zusammenhänge.

 

Die Bedeutung junger Familien aus dem Ausland
Die meisten Einwanderer stammen aus Staaten der EU. 2014 fielen die letzten Schranken für Emigranten aus Bulgarien und Rumänien. Diese Wanderungsbewegung spiegelt sich in der Ingolstädter Statistik wider – eine gern gesehene Entwicklung, denn: „Um eine Bevölkerung in sich konstant zu halten, braucht man durchschnittlich 2,2 Geburten pro Frau“, erklärt Schels. Die deutschen Frauen schaffen aber wie gesagt in Ingolstadt nur 1,36. „Die Zuwanderer füllen also riesige Lücken.“ Der Staatsangehörigkeitsbegriff verliere für die Statistiker im Übrigen zunehmend an Bedeutung; auch ein Effekt der Integration.

 

Die neue Blüte des Privaten
Um ihre Zahlen interpretieren zu können, nehmen Statistiker immer die ganze Gesellschaft in den Blick. Ulrich Kraus erkennt einen mental-kulturellen Trend, der wohl einiges zur steigenden Kinderzahl beiträgt: „Das Private ist heute höher gewichtet, das Bedürfnis nach Glück im familiären Bereich wird größer.“ Außerdem hat sich die Rolle der Frau entscheidend gewandelt. Die Berufswelt hat reagiert. Um gut qualifizierte Frauen zu gewinnen (und nicht zu verlieren), kommen viele Firmen den Müttern entgegen. „Da hat sich auf der Arbeitgeberseite enorm viel getan! Der Konflikt ,Kinder oder Karriere’ wird heute immer mehr Frauen erspart.“

 

Kindersegen im Kino
„Es gibt heute auffällig viele Komödien, in denen es um Patchworkfamilien und Kinder geht“, erzählt Helmut Schels. Ob „Kokowääh“ oder „Keinohrhasen“ – meist muss sich jemand ungeplant mit seiner Elternrolle arrangieren, „aber es geht immer gut aus“. Es könne also sein, dass die glücklichen Wendungen im Kino unterbewusst so manchen Kinderwunsch beflügeln.

Da sage noch einer, Statistiker hätten nur Zahlen im Kopf.