Ingolstadt
Fußball eint Nationen in der Südkurve

FC-Ingolstadt-Fans laden Asylbewerber ins Stadion ein – gute Stimmung trotz Niederlage

15.02.2015 | Stand 02.12.2020, 21:39 Uhr

 

Ingolstadt (DK) Feuchtkalter Nebel hängt in der Luft, kriecht durch jede Kleidungsschicht. Das Stadion ist halb leer. Eine Handvoll Sandhausener schwenkt eine Fahne. Die Südkurve dagegen ist gut gefüllt. Die FCI-Fans haben sich Unterstützung eingeladen: Gut 120 Asylbewerber jubeln für die Schanzer – trotz Niederlage.

Es ist Samstag, 11 Uhr morgens, der 21. Spieltag in der Fußball-Bundesliga. Exakt zwei Stunden bevor sich FC Ingolstadt und SV Sandhausen auf dem Rasen begegnen, versammeln sich die Asylbewerber vor ihrer Containerunterkunft am Audi-Sportpark. Dort werden sie von den Ingolstadt-Fans abgeholt, die sie eingeladen haben, ein Spiel mit ihnen anzuschauen. „Wir haben öfter mitbekommen, dass sie gerne Fußball schauen würden – und wollten ihnen die Möglichkeit bieten“, erzählt Moritz Fehringer, einer der Mitorganisatoren aus dem Fanclub. „Ingolstadt, Ingolstadt, Ingolstadt“, rufen die Asylbewerber hinter ihm schon einmal probeweise und schwenken Schals und Fähnchen.

„Die Fans sind zu uns gekommen und wollten das machen“, erzählt Sebastian Wagner, Fanbeauftragter des FCI. Eine Idee, die er gut findet, denn „viele, die sonst Bengalen zünden, engagieren sich jetzt hier“, freut er sich. Außerdem sei es eine Abwechslung zum schnöden Containeralltag für die Asylbewerber. Auch die Spieler des FCI wüssten Bescheid, hätten ihre Gäste sogar in ihren Heimatsprachen zum Spiel eingeladen.

Sarjo Fadera schwenkt seinen rot-schwarzen Schal, dann bindet er ihn schnell um, als ihm die Fans eine Semmel und einen Krapfen in die Hand drücken. Eine Käsesemmel, denn viele sind Muslime, erklärt Sebastian Wagner die Überlegung. Der Krapfen lässt unvermutete Spielräume: Der eine oder andere Asylbewerber probiert ihn mit Ketchup – wenn der schon in großen Drückbehältern auf den Tischen steht, muss er ja auch zu etwas gut sein. Scheint trotzdem zu schmecken. „3:0 Ingolstadt“, tippt Sarjo Fadera. Der Senegalese freut sich auf das Spiel – auch wenn er mit seinem Tipp nicht Recht behalten soll.

Schwarz-rot gekleidete Fans strömen kurz vor Spielbeginn ins Stadion. Die Asylbewerber halten dort schon seit einer Stunde die Stellung, die Mützen tief ins Gesicht gezogen. Sogleich fallen sie ins rhythmische Fanklatschen ein – Bewegung macht warm. Auch von den Gesängen lassen sie sich gerne mitreißen – auch wenn nicht jedes Wort sitzt, „Schanzer“ lernen sie schnell. Große Fahnen schwenken über ihre Köpfe hinweg. Obwohl Mohamed Nur sonst für seinen somalischen Verein Elman FC jubelt – den neunfachen Rekordmeister aus Mogadischu –, an diesem Tag ist der FC Ingolstadt auch seine Mannschaft. „Schanzer sind wir“, singen sie – die ganze Südkurve schunkelt. Die ganze Südkurve? Ja. Rot, Schwarz, Weiß.

Nach dem ersten Gegentor ist es einen Moment vollkommen still im Ingolstädter Block, dann bricht der Sturm los. Doch kein Fangesang, keine noch so ausladend geschwenkte Fahne können die Niederlage aufhalten. Nach 19 Minuten steht es 2:0. „Der war richtig schlecht geschossen“, schimpft eine Ingolstädterin. Aber drin ist er eben doch: Es triumphieren die Fans gegenüber, die Mohamed Nur beinahe an seinen Händen abzählen könnte: Die „Blockade Sandhausen“, wie auf ihrem Banner steht.

Die Asylbewerber haben trotzdem Spaß am Spiel. Fußball in Deutschland sei ganz anders. Allein schon das Stadion. Er selbst spielt auch – „dieselbe Position wie Philipp Lahm“, sagt Mohamed Nur auf Englisch. Ein Verteidiger also. Auch sein Tipp mit 2:0 erfüllt sich nicht. Am Ende verlieren die Schanzer mit 1:3 gegen den SV Sandhausen.

Vor dem Stadion hat Amnesty International einen Stand. Organisator Matthias Pelzer will jedem Interessierten erklären, warum die Menschen nach Deutschland flüchten, wie man helfen kann – und dass Sport jedem Spaß macht. Doch wer den Ingolstädter Fanblock gesehen hat, dürfte das eh nicht bezweifeln: Er eint gefühlt so viele Nationen, wie Fans in der Sandhausen-Kurve klatschen.