Ingolstadt
"Es war eigentlich aussichtslos"

Der Kletterer Michael Füchsle war nach einer Blutvergiftung gelähmt – heute treibt er wieder Sport

19.12.2014 | Stand 02.12.2020, 21:50 Uhr

Erfolgreicher Kletterer mit Handicap: Nach der erfolgreich bekämpften Lähmung erklimmt Michael Füchsle wieder Felsen, wie hier in der Türkei, und gibt Kurse im Alpenvereinskletterzentrum in Ingolstadt - Foto: oh

Ingolstadt (DK) Für Michael Füchsle ging es mit 14 Jahren schon hoch hinaus. Während andere nach der Schule eine Ausbildung begannen, plante er seine Karriere als Profikletterer, reiste um die Welt und bestieg seinen ersten 4000er. 2005 warf ihn eine schwere Krankheit aus der Bahn. Nur sein eiserner Wille brachte ihn zurück ins Leben.

Die Augen leuchten voller Elan. Der Gesichtsausdruck signalisiert Neugierde und Abenteuerlust. Michael Füchsle ist ohne Zweifel ein Junggebliebener. Einer, der jeden Tag auf Entdeckungsreise durch das Leben geht. Selbst mit 47 Jahren. Dabei hat ein schwerer Schicksalsschlag den einstigen Profikletterer vor fast zehn Jahren aus der Bahn geworfen, machte ihn vom durchtrainierten Sportler zum Invaliden und zum Frührentner.

Über zwei Jahrzehnte lang gehörte zuvor seine ganze Leidenschaft dem Klettern. Mit zwölf bestieg er den 4000 Meter hohen Biancograt in den Schweizer Alpen. Gleich nach der Schule, mit 14 Jahren, wird Füchsle Profi. Die Eltern unterstützen ihn, geben ihm ein Jahr Zeit, sein Vorhaben umzusetzen. Der gebürtige Schwabe aus Bobingen enttäuscht sie nicht. Über sein Hausgebiet, die Konsteiner Felsen, bringt er einen Kletterführer heraus.

„Den gab es damals noch nicht“, sagt er. Mit der Hand zeichnet er die Formationen ab, beschreibt die Strecken, gibt das Werk in Druck und verkauft es. Ein voller Erfolg. Mit dem Büchlein und der Unterstützung von Sponsoren verwirklicht er seinen Traum, kann von da an von seinem Sport leben. Doch dann geschieht das Unerwartete.

2005 fällt Füchsle mit einer Blutvergiftung ins Koma. Die Ursache: Ein Darmdurchbruch, der auf eine bereits vorhandene, chronische Erkrankung zurückgeht. Als er wieder aufwacht, ist nichts mehr so, wie es war. Der Mann, der mitten im Leben stand und nichts so sehr schätzte wie die Freiheit in den Felsen, ist vom Hals ab gelähmt. Die Aussicht auf vollständige Genesung ist mehr als gering. Den Eltern wird von ärztlicher Seite geraten, für den Sohn einen Vollzeitpflegeplatz zu suchen. Doch damit will Füchsle sich nicht abfinden. Resignation ist nicht seine Sache, gibt er zu verstehen. Noch in der Reha bittet er seine Schwester, ihm Hanteln zu bringen. Er beginnt wieder leicht zu trainieren, macht erste Fortschritte und kann bald wieder alleine essen. „Es war eigentlich aussichtslos. Niemand hätte gedacht, dass ich überhaupt vom Rollstuhl wieder hochkomme“, sagt er im Nachhinein.

Zwischenmenschlich dagegen muss er schwere Rückschläge einstecken, verliert fast alle Freunde und seine damalige Partnerin. Bis zum Jahr 2012 stagniert seine Genesung. „Ich konnte keine 20 Meter am Stück gehen“, erinnert er sich. Zu schaffen machen ihm auch die Folgen der Erkrankung: Der künstliche Darmausgang, die durch den Eingriff teilweise verödete Bauchmuskulatur und die Polyneuropathie, ein Nervenleiden, das zu einer schnellen Ermüdung der Gliedmaßen führt. Doch auch diese steile Wand des Schicksals weiß er zu meistern.

Heute gibt Füchsle zweimal wöchentlich Kletterkurse für Erwachsene im DAV-Kletterzentrum in Ingolstadt. Und auch er selbst kann wieder in die Wand steigen und bouldern, wie das Klettern auf Absprunghöhe in der Fachsprache heißt. Wenn auch nur für maximal zwei bis drei Stunden. Zuletzt in der Türkei, wo er erst im November so manchen Fels erkundet hat.

Zu verdanken hat er die Rückkehr ins aktive Leben seiner Ansicht nach auch der neuen Lebenspartnerin. Kennen gelernt haben sich beide über ein Internetforum. Mehr aus Zufall. Heute lebt er mit der Frau und deren Kindern im Landkreis Neuburg-Schrobenhausen.

„Ohne meine Freundin hätte ich wohl nicht mehr begonnen zu klettern“, sagt er. 2012 unternehmen sie eine erste gemeinsame Wandertour. Seitdem ist die Freundin selbst aktive Kletterin. Auch Füchsles Vater, früher ebenfalls Klettersportler, ist vom Eifer seines Sohnes beeindruckt. So sehr, dass auch er mit 79 Jahren wieder mit dem Klettern beginnt. „Was du kannst, kann ich auch“, soll er gesagt haben. Füchsle ist keiner, der aufgibt, sondern anspornt. Sein größter Traum? Noch einmal in die USA, sagt er. Viermal hat er das Kletterparadies schon bereist. Auch an einem Wettkampf für Kletterer mit körperlichen Einschränkungen wollte er heuer teilnehmen. Doch: „Es gibt meine Kategorie nicht“, sagt er lapidar. Das Leuchten in den Augen bleibt trotzdem.