Ingolstadt
Der Tod ist groß

28.08.2011 | Stand 03.12.2020, 2:28 Uhr

So starb Anna M.: Nicola Womes an einem Tatort, der im Turm Triva nach einem authentischen Fall rekonstruiert worden ist. Die Ingolstädter Ärztin führte durch die Rechtsmedizin-Ausstellung und berichtete von eigenen Erfahrungen, die sie an Seziertischen gesammelt hat. - Foto: Strisch

Ingolstadt (DK) Das Interesse an der Ausstellung über die Rechtsmedizin im Turm Triva lässt nicht nach. Fast 10 000 Besucher haben sie schon gesehen. Oft müssen bei Führungen Gruppen wegen des Andrangs geteilt werden. So auch, als Dr. Nicola Womes über ihre Begegnungen mit dem Tod berichtete.

Hitze, Enge und Grauen allenthalben. Doch keiner wankt. Selbstverständlich ist das nicht. Tapfer arbeiten sich die Besucher vor. Von Todesart zu Todesart. Schusswaffen, Stromschläge, Stichwunden, Ertrinken, Ersticken, Unfall, Verbrennen, Vergiften – das volle Programm des unnatürlichen Sterbens. Suizide en masse inklusive. Alles drastisch illustriert und unverblümt erläutert. Schonung gewähren die Ausstellungsmacher dafür mit dem Arrangement der Exponate. Stets steuern die Besucher erst auf die Rückseite eines Schranks zu, auf dem steht, auf welche Weise die Menschen dahinter zu Tode kommen. Wer es sich zutraut, nimmt die Kurve. Wer Angst oder Ekel empfindet, zieht besser weiter.

Und dazu rät Dr. Marion Ruisinger dringend. Die Leiterin des Deutschen Medizinhistorischen Museums lässt die Besucher erst nach einem Appell in den Turm Triva: „Wir sind nicht beleidigt, wenn Sie Ihre eigenen Wege gehen, bevor sie mir auf dem Boden liegen. Also achten Sie bitte auf Ihre inneren Signale!“

Für alle Fälle wären zwei Ärztinnen da: Ruisinger selbst und die Ingolstädter Allgemeinmedizinerin Dr. Nicola Womes. Sie hat im Bereich der Rechtsmedizin promoviert und in mehr als sechs Jahren an Münchens Seziertischen tief in die vielen Gesichter des Todes geblickt. Wissenschaftlich-abgeklärt hilft sie den Zuhörern zu verstehen, was sich da vor ihnen an Leiden auftut. So gleich bei der ersten Bewährungsprobe, der Abteilung Bolus-Tod: das Sterben mit einem Fremdkörper im Kehlkopf. Oder in den Atemwegen, wie das Präparat eines Hauptbronchus zeigt, in dem das Mundstück einer Pfeife steckt. Daneben ein Kehlkopfpräparat, gefüllt mit einem Stück Eisbein, groß wie ein Golfball. „Tragische Tode“, sagt Womes. „Sehr unangenehm.“

Aber gerade wegen all der Leichenfotos und Sektionsbefunde ringsum hebt sie eine Aufgabe der Rechtsmediziner besonders hervor: „Sie helfen auch Lebenden, weil sie Beschuldigte exkulpieren und Opfer rehabilitieren können.“ Sie erzählt einen Fall aus ihrer Zeit in der Rechtsmedizin. Zwei Polizisten hatten einen geflohenen Mörder nachts in einem Hinterhof gestellt. „Da zückte der sofort eine 38er Parabellum.“ Ein Beamter schoss schneller, traf den Angreifer ins Herz. Doch wie in solchen Fällen üblich, wurde er vom Dienst suspendiert, weil die Umstände des Todesfalls unklar schienen. Bis die Rechtsmediziner nachwiesen, dass die Kugel vor dem Eintritt ins Herz des Straftäters dessen nach vorne gerichtete Schusshand gestreift hatte. Damit stand fest: Der Mann hatte auf den Polizisten gezielt. Ein eindeutiger Fall von Notwehr.

Auch auf einem anderen Feld dienen Rechtsmediziner Lebenden: bei der Identifizierung von Leichen. Die Tsunami-Katastrophe Ende 2004 erforderte da einen Großeinsatz, wie in der Ausstellung zu sehen ist. „Die Mediziner geben den Angehörigen ihre Verstorbenen wieder“, sagt Womes. „Damit können sie bestattet werden.“ Das sei für die Bewältigung des Todes eine entscheidende Unterstützung.

Marion Ruisinger übernimmt es, mit den schlimmsten Krimi- Klischees aufzuräumen. Wann immer ein TV-Kommissar fragt „Ist das Mordopfer schon in der Pathologie“, muss sie sich ärgern, denn für Verbrechen sind ausschließlich Rechtsmediziner zuständig. „Drei Arten von Ärzten öffnen Leichen“, erklärt sie. „Anatomen erforschen, wie der gesunde Körper aufgebaut ist. Pathologen erkunden Krankheiten. Rechtsmediziner klären, ob eine Straftat vorliegt. Und wenn ja: welche.“

Oder immer diese rührseligen Szenen, wenn in Sektionssälen Leichen aufgedeckt werden und Angehörige wimmern: „Ja, er ist es.“ Das komme im Fernsehen freilich toll, sagt Ruisinger. „Passiert aber nie, denn die Familie hat in rechtsmedizinischen Instituten nichts verloren!“

Nach der Führung atmen die meisten draußen erstmal durch. Brigitte und Peter Gahr aus Manching halten die Ausstellung für „sehr informativ“ und auf jeden Fall zumutbar. Stark bewegt hat sie der Schlucktod, „weil einem das immer passieren kann“.

Auch zwei Frauen um die vierzig bekennen: „So schlimm war es gar nicht.“ Und mit moderatem Sarkasmus, der nach einer 90-minütigen Todestour kaum überraschen darf, fügen sie an: „Jetzt wissen wir, dass wir uns sicher nie umbringen werden.“