Ingolstadt
"Das ist für viele Menschen nicht vorstellbar"

11.05.2011 | Stand 03.12.2020, 2:50 Uhr

Arbeitsplatz Tatort: Rechtsmediziner Professor Michael Tsokos am nachgestellten Ort eines Verbrechens in seiner Ausstellung "Vom Tatort ins Labor – Rechtsmediziner decken auf". Die Schau ist in Zusammenarbeit mit dem Deutsche Medizinhistorischen Museum und dem Bayerischen Armeemuseum bis September im Turm Triva zu sehen. Besucher müssen mindestens 16 Jahre alt sein. - Foto: Strisch

Ingolstadt (DK) Was Professor Michael Tsokos jeden Tag beschäftigt, kennen die meisten Menschen nur als Unterhaltung aus dem Fernsehen. Tsokos ist Direktor des Rechtsmedizinischen Instituts der Berliner Charité und ein Initiator der Ausstellung "Vom Tatort ins Labor", die ab heute im Turm Triva im Klenzepark zu sehen ist. Johannes Hauser hat sich mit dem Gerichtsmediziner unterhalten.

Herr Professor Tsokos, sehen Sie gerne Fernsehkrimis?

Michael Tsokos: Ich schaue gerne "Tatort". Etwa den aus Münster oder Berlin. Aber dieses CSI oder andere Rechtsmedizin-Serien nicht. Da lande ich höchstens beim durchzappen und schalte dann schnell weiter.

 
Hat das, was der Professor Boerne aus dem Münsteraner Tatort macht, etwas mit ihrer Arbeitsrealität zu tun?

Tsokos: Er ist auf jeden Fall näher dran als gewisse andere Serien. Der wesentliche Unterschied ist, dass wir nicht als Ermittler tätig sind. Wir rennen nicht selbstständig in Wohnungen oder vernehmen Zeugen und verschaffen uns widerrechtlich Zutritt, um irgendwo etwas aufzusuchen. Ermittlungen macht nur die Polizei.

Wie wird man Gerichtsmediziner? Und warum?

Tsokos: Das ist schwer zu beantworten. Fragen Sie mal einen Augenarzt, warum er Augenarzt ist, oder einen Gynäkologen. Das ist für mich genauso abwegig. Die Thematik hat im Studium einfach einen Nerv in mir getroffen.

Woher kommt die Faszination für das Morbide, die ja viele Leute haben?

Tsokos: Ich denke, es liegt in der menschlichen Natur, dass man sich gerne mit Dingen beschäftigt, die einen gruseln. Dinge, von denen man hofft, dass sie einem selbst nie widerfahren. Wenn es um den Tod geht, ist das immer ein Grenzgang. Vor allem, wenn es um die Stadien geht, die danach kommen. Fäulnis und Verwesung – das ist für viele Menschen nicht vorstellbar, dass das Individuum nicht mehr vorhanden ist, dass es nur noch eine leere Hülle gibt, bei der der Bewohner ausgezogen ist.

Stumpft man in Ihrem Beruf ab oder schlafen Sie manchmal schlecht?

Tsokos: Ich denke nicht, dass ich über die 20 Jahre, die ich diesen Beruf mache, abgestumpft bin. Ich schlafe aber nicht schlecht. Man muss eine bestimmte Konstitution haben, um diesen Beruf ertragen zu können. Das gilt aber auch für Menschen, die auf Kinderkrebsstationen arbeiten. Damit käme ich nicht klar – lebende Patienten zu verlieren.

Was man hier in der Ausstellung sieht, ist teilweise harter Tobak. Eintritt ist deswegen erst ab 16. Warum soll man sich Fotos von Leichen überhaupt anschauen?

Tsokos: Es gibt ein großes Interesse an der Rechtsmedizin. Aber was in Filmen und Büchern dargestellt wird, ist eben fiktional und unsere Idee war, den Menschen einen realistischen Einblick in die Arbeit der Rechtsmedizin zu geben. Aber, dass das eine Gratwanderung ist, ist uns völlig klar.