Ingolstadt
Das Märchen vom Wintermarkt

Stadträtin Simone Vosswinkel leitete im Internet Falschmeldungen weiter und bedauert das jetzt

16.11.2017 | Stand 02.12.2020, 17:12 Uhr

Prachtvoll strahlt der Ingolstädter Christkindlmarkt, hier 2015. Niemand hatte jemals vor, ihn aus Rücksicht auf Muslime in "Wintermarkt" umzubenennen. Das gilt für alle Christkindl- und Weihnachtsmärkte. Doch genau diese Behauptung hält sich hartnäckig. ‹ŒArch - foto: Hauser

Ingolstadt (DK) Seit Jahren geistern in der Weihnachtszeit wütende Meldungen durchs Internet: Aus Rücksicht auf Muslime würden bei uns Christkindlmärkte in "Wintermärkte" umbenannt. Aber das stimmt nicht. Stadträtin Simone Vosswinkel hat solche Fake News zunächst geglaubt und weiterverbreitet.

Der Untergang des christlichen Abendlandes rückt näher. Es muss so sein, denn es steht ja im Internet: Etliche deutsche Städte und Gemeinden hätten ihre Christkindl- und Weihnachtsmärkte in Wintermarkt umbenannt - aus Rücksicht auf die in Massen eingewanderten Muslime, die in der Bundesrepublik die gesellschaftliche Hoheit erobern wollen und so der einheimischen Bevölkerung die kulturelle Identität rauben. Schlimmer noch: In vorauseilendem Gehorsam würden quer durch die Republik zig Kindergärten ihre St.-Martins-Umzüge in "Sonne-, Mond- und Sternefest" umtaufen, weil sie die unchristlichen Fremden nicht provozieren wollen. Da sei es natürlich auch wieder typisch, dass viele deutsche Stadt- und Gemeinderäte - von linker politischer Korrektheit benebelt - ihre Adventsbeleuchtung lieber "Winterbeleuchtung" nennen.

Solche Meldungen geistern, zehntausendfach verbreitet, seit Jahren vor allem in der Vorweihnachtszeit durchs Internet. Und ein vieltausendstimmiger Chor der Entrüsteten giftet auf Facebook hinterher: "Finis Germaniae! Die Flüchtlinge stehlen uns unsere Identität."

Jedoch: Die Geschichte mit den Dutzenden Wintermärkten und Sternenfesten ist erwiesenermaßen Blödsinn. Ein böser Blödsinn, denn diese (modern ausgedrückt) Fake News stammen ursprünglich auch aus dem rechtsradikalen Milieu, etwa dem Dunstkreis der Identitären Bewegung, die mit allen Mitteln gegen die angebliche Aufgabe unserer Identität hetzt.

Das wissen die meisten nicht, die der Mär vom Wintermarkt sofort Glauben schenken oder sie empört im Internet weiterverbreiten (sie sind damit freilich noch nicht gleich Rechtsradikale). Es gab bisher genau ein belegbares Sonne-, Mond-, und Sternefest, und das hat einen Grund (siehe den Kasten).

Auch UDI-Stadträtin Simone Vosswinkel hat diese Woche ein offensives Bekenntnis wider das unweihnachtliche Umbenennen öffentlich sichtbar auf ihre Facebook-Seite gestellt und mit ihren aktuell 1010 Onlinefreunden "geteilt", das bedeutet, dass sie diese "Klarstellung" (die natürlich nicht aus Vosswinkels Feder stammt), weiterverbreitet hat. Darin heißt es unter anderem: "Ich gehe mit meinen Kindern zum St.-Martins-Umzug, nicht zum Sonne-, Mond- und Sternefest. Im Dezember freuen wir uns auf den Weihnachtsmarkt, nicht auf den Wintermarkt ( . . .) Ich halte viel von Toleranz und Rücksichtnahme. Nichts halte ich allerdings von den Vollidioten, die meinen, dass wir in unserem eigenen Land unsere eigene kulturelle Identität aufgeben sollten." Vom DK darauf angesprochen, was sie damit sagen wolle, beharrte die Ex-ÖDP-Stadträtin zunächst auf der Richtigkeit der Meldungen über die zahlreichen Umbenennungen und betonte: "Wir müssen unsere Tradition hochhalten!" Nach längerem "Nachdenken", so Vosswinkel, bedauere sie es, die "Klarstellung" geteilt zu haben. "Das ist mir in einem kurzen, unüberlegten, emotionalen Augenblick passiert. Ich will auf gar keinen Fall Ängste schüren!" Allerdings müsse man fragen, warum so viele Menschen die Falschmeldungen glauben. Vosswinkel: "Weil sie Ängste haben. Es ist daher wichtig, diese Ängste aufzunehmen, selbst wenn sie irrational sind." Es bedürfe "viel Information, damit nicht wegen dieser irrationalen Ängste die Flüchtlinge zu Buhmännern gemacht werden".

Die Fake-Jäger von mimikama.at haben die Hintergründe der Wintermarktmärchen ausrecherchiert. Ihre Devise lautet: "Zuerst denken, dann klicken."