Ingolstadt
Das Geheimnis unter dem Münsterboden

Eine Inschrift erinnert an die Sanierung der Oberen Pfarrkirche und einen spektakulären Fund vor 165 Jahren

25.07.2016 | Stand 02.12.2020, 19:30 Uhr

Noch ein Geheimnis im Boden: Doris Wittmann, wissenschaftliche Mitarbeiterin im Stadtarchiv, kann viel über das Ingolstädter Münster berichten. Etwa über den dunklen Marmorblock im Chor des Gotteshauses und was darunter bei der Sanierung im 19. Jahrhundert aufgetaucht ist. - Foto: Eberl

Ingolstadt (DK) Ein schwer zu entziffernder Schriftzug, eine vergessene Grabkammer, ein versenkter Marmorblock. Das Ingolstädter Münster birgt spannende Geschichten.

Vielen Besuchern des Ingolstädter Münsters dürfte der Schriftzug, der sich quer durch das Kirchenschiff vom Nord- zum Südportal über den Boden zieht, entgehen. Und auch, wer die metergroßen Buchstaben sieht, tut sich schwer beim Entziffern der gotischen Lettern. Doris Wittmann, wissenschaftliche Mitarbeiterin im Ingolstädter Stadtarchiv, kann helfen: "renovatus MDCCCLI" steht hier. Die Inschrift erinnert an die Restaurierung der Kirche in der Mitte des 19. Jahrhunderts.

Die damalige Sanierung beinhaltete mehr als nur ein paar Renovierungsarbeiten, tatsächlich hat sie den gesamten Charakter des Ingolstädter Münsters - damals noch die "Obere Pfarr" genannt - verändert, wie Wittmann auch anhand historischer Akten und Bucheinträge erläutert. So lässt sich nachempfinden, wie Pfarrer Georg Angermaier und der "rechtskundige Bürgermeister" Georg von Grundner im Frühjahr 1848 sorgenvoll den Blick zum Gewölbe der Kirche hoben. Etliche Risse waren zu erkennen und einige Kreuzrippen drohten gar einzustürzen. Die Kirche wurde gesperrt und sollte es für die nächsten dreieinhalb Jahre bleiben.

Um die Ursachen der Schäden zu eruieren, wurde Oberbaurat Georg Friedrich Ziebland aus München hinzugezogen. "Er stellte tiefgehende Bauschäden fest", so Wittmann. Das Gewicht des mehrere Stockwerke hohen Dachstuhls drückte die Wände des Kirchenschiffs auseinander. Das damals bereits 360 Jahre alte Gebälk wurde unter Verwendung von 250 Zentnern Eisen stabilisiert und so der Druck von den Wänden genommen.

Die Ingolstädter nutzten die Sanierung ihrer Oberen Pfarrkirche, um das Gotteshaus auch im Inneren umzubauen. "Alles, was an den Barock erinnerte, sollte entfernt werden", erklärt Wittmann. Stattdessen orientierte man sich an einem idealisierten Bild der Gotik und eiferte diesem historischen Baustil nach. Unter anderem wurden Stuck und Altäre entfernt, die Kreuzigungsgruppe, die vor dem Altarraum stand, nach hinten unter die Orgelempore versetzt - wo sie noch heute steht. Die beiden Flügel des Hochaltars, die einst ausgehängt worden waren, um einem barocken Tabernakel Platz zu machen, kamen wieder an ihren Ort.

Im Chorraum wartete ein gewichtiges Problem auf die Restaurateure: ein fast vier Meter langer, zwei Meter breiter Block aus rotem Marmor. Der Erbauer der Oberen Pfarr, Herzog Ludwig der Gebartete, ließ ihn im 15. Jahrhundert hier deponieren. Aus ihm sollte dereinst sein Prunk-Grabmal geschlagen werden. Dazu kam es allerdings nicht, da der Herzog in Gefangenschaft - sein eigener Sohn hatte ihn in Burghausen festgesetzt - starb. Und so stand der Block über Jahrhunderte einfach nur im Weg, musste bei Prozessionen umgangen werden und verstellte den Blick auf den Altar.

Nach einigem Hin und Her wurde entschieden, den Marmorblock im Boden zu versenken. Beim Ausheben der Grube stießen die Arbeiter auf ein Gewölbe. Ein Mutiger stieg durch ein Loch in den Raum darunter und stand unvermittelt vor zwei Särgen. In jedem lag ein Skelett. Zwischen den Särgen fanden sich zwei Behälter, in einem ein menschliches Herz, im anderen einbalsamierte Organe. Eine Untersuchungskommission klärte schließlich die Identität der Toten, die hier seit vierhundert Jahren ruhten: Im linken Sarg lag der Sohn des Gebarteten, Ludwig VIII. - genannt der Bucklige und deswegen leicht zu identifizieren. Daneben sein Großvater, Herzog Stephan III., der 1413 starb. Er war bekannt für seine Begeisterung für Ritterturniere, ein gebrochenes Schlüsselbein zeugte davon. Das Herz gehört Anna von Bourbon, der ersten Frau Ludwigs des Gebarteten, die Organe dem 1503 im Ingolstädter Neuen Schloss gestorbenen Herzog Georg dem Reichen, dem Bräutigam der Landshuter Hochzeit.

Die neu entdeckte Wittelsbacher-Gruft wurde hergerichtet, der versenkte Marmorblock darüber mit zehn Säulen abgestützt. Die Arbeiten verzögerten die Sanierung, so dass der Eröffnungsgottesdienst verschoben werden musste. Am 26. Oktober 1851 war es so weit: Die Ingolstädter schritten beim Betreten der Stadtpfarrkirche zum ersten Mal über den neu gefliesten Boden mit den roten Marmorbuchstaben "renovatus MDCCCLI - renoviert 1851".