Ingolstadt
Andante im Altenheim

Beim Projekt "Musik am Bett" spielen Gnadenthal-Schülerinnen für demenzkranke Menschen

02.06.2017 | Stand 02.12.2020, 18:00 Uhr

Musik für Demenzkranke: Isolde L. (sie möchte nicht erkannt werden) hört mit ihrer Betreuerin Romy Sauer den Gitarrenklängen von Rebecca (rechts) zu. - Foto: Brandl

Ingolstadt (DK) Draußen schwitzen die Ingolstädter bei über 30 Grad. In dem Zimmer im dritten Stock des Seniorenstifts St. Matthäus ist es entsprechend warm, aber noch auszuhalten. Da wirkt das Scherzo wie eine Erfrischung. Eine, die nicht aus der Flasche kommt, sondern den schönen Künsten entspringt.

Nicht die Kehle erfrischt die Musik von Mauro Giuliani, dafür den Geist. Gespielt wird das klassische Stück von Rebecca Reger. Die 17-jährige Schülerin vom Gnadenthal-Gymnasium ist an diesem Nachmittag zusammen mit zwei weiteren Mitschülerinnen und Musiklehrer Bernd Metzler ins Matthäus-Stift gekommen, um dort Musik für bettlägrige demenzkranke Altenheimbewohner zu machen. "Musik am Bett" nennt sich das Angebot, das seit fünf Jahren existiert und in dieser Form etwa viermal im Jahr stattfindet. An diesem Tag sind es 21 Heimbewohner, die den Klängen lauschen dürfen.

Isolde L. (Name von der Redaktion geändert) liegt entspannt auf ihrem Bett, eine leichte Decke über die Beine gezogen. Betreuerin Romy Sauer vom Seniorenstift hält die Hand der alten Frau, während Rebecca die Saiten zupft und das Scherzo erklingen lässt. Ihr Spiel dauert etwa fünf Minuten - doch für die alten Menschen kommt das einer Seelenreise gleich, die Erinnerungen weckt. "Die Musik ist der Königsweg für Demenzkranke. Sie macht wach, weil alle sie lieben", sagt Marietta Schmidt, die das Projekt im Matthäus-Stift betreut. Wie sich das äußert, dafür hat sie Beispiele aus der Praxis parat. Demnach habe einmal ein Bewohner, der fast völlig stumm gewesen sei, während des Spiels plötzlich begonnen, mitzusingen. "Am Brunnen vor dem Tore", erzählt sie. Das Repertoire ist ansonsten breit gefächert. Neben Klassik spielen die Schülerinnen an diesem Tag das Kinderlied "Regentropfen" und die sanfte Ballade "Tears in Heaven".

Leuchtende Augen und ältere Menschen, die für Momente innerlich aufblühen, weil die Musik etwas in ihnen auslöst - das sehen die Beteiligten öfter, wenn die "Musik am Bett" erklingt. Dabei habe sich die Gitarre als das ideale Instrument erwiesen, sagt Schmidt. Es habe auch schon Versuche mit Gesang und anderen Instrumenten gegeben, das sei aber nicht so gut angekommen.

Für Schmidt und Metzler ist der Auftritt im Altenheim eine "Win-win-Situation" für beide Seiten, wie sie feststellen. Die Schülerinnen hätten so Gelegenheit, ein soziales Werk zu tun, dabei eine Hemmschwelle zu überwinden und gleichzeitig Stücke vor Publikum zu üben, die sie bei ihrer Prüfung an dem musischen Gymnasium vortragen müssen. "Wobei es nicht primär darum geht, richtig zu spielen, sondern schön", betont Metzler. Das Musizieren unter diesen Umständen sei aber auch eine Herausforderung, weiß Schmidt. Deshalb kämen dafür nur Schülerinnen ab der neunten Klasse infrage, weil diese schon eine gewisse persönliche Reife erlangt hätten. "Für Schwerkranke zu spielen, das muss man aushalten können", sagt Schmidt. Deshalb spreche sie zuvor mit den Mädchen darüber, welche Menschen ihnen hier begegnen.

Für Rebecca, die schon mehrmals im Stift gespielt hat, sei es "eine Freude", wenn sie die oft nur zurückhaltenden Reaktionen der Bewohner auf die Musik bemerke. Tatsächlich gibt es nach dem Scherzo diesmal sogar richtigen Applaus für sie. "Ich habe das einfach probiert, und es hat Spaß gemacht", sagt Rebecca zu ihren Beweggründen. Zudem würden ihre Eltern es schätzen, dass sie sich auf diese Weise sozial einbringt.

Vor den Sommerferien werden die Gnadenthal-Schülerinnen ein weiteres Mal im Matthäus-Stift der Diakonie Ingolstadt spielen.