Donauwörth
"Das wird das zweite Wackersdorf"

Hunderte von empörten Bürgern aus dem Altmühltal beim Amprion-Infoabend in Donauwörth

05.02.2014 | Stand 02.12.2020, 23:07 Uhr

Definitiv keine Gewohnheitsdemonstranten: Ein paar Emsinger (links) haben sich extra T-Shirts mit dem Aufdruck „Stromtrasse – Monstergasse“ übergestreift. Bäuerin Elisabeth Böhm aus dem still-abgeschiedenen Weiler Hegelohe warnt bei der ersten Demonstration ihres Lebens vor „Hochspannung“ (Mitte) und August Speth aus Hitzhofen (rechts) redet sich in Rage: „Warum legt man östlich von Ingolstadt zwei Kraftwerke still, daunter das modernste Gaskraftwerk der Welt in Irsching, und dann kommt die Energie aus Sachsen? Zwickt’s mi! - Fotos: aur

Donauwörth/Eichstätt (DK) Ein gellendes Pfeifkonzert. „Lügner, Lügner“ schallt es von den Tribünen, und irgendwann skandieren Dutzend Menschen den Slogan: „Wir sind das Volk!“ Knapp 1000 Menschen strömten am Dienstagabend in Donauwörth zusammen, vereint im Protest gegen die Amprion-Gleichstromtrasse.

Die vom Unternehmen geplante 450 Kilometer lange Trasse von Halle in Sachsen-Anhalt nach Meitingen bei Augsburg soll in ihrer derzeit favorisierten Variante quer durch den Landkreis Eichstätt führen. Seit ein paar Tagen ist diese Nachricht bei der breiten Bevölkerung angekommen.

Aus den betroffenen Ortschaften machen sich am Dienstag fünf Busse auf den Weg nach Donauwörth, dazu viele Bürger mit Privatautos. Die Stadthalle im Zentrum von Donauwörth, das Tanzhaus, kann nach Polizeiangaben nur 650 von ihnen unterbringen, die anderen müssen draußen, abgehalten von einem Dutzend bulliger Security-Leute, draußen im Freien mit einer Lautsprecherübertragung vorlieb nehmen. Unter den Leuten draußen in der Kälte\tsind auch 50 Rieshofener und Rapperszeller, für die der Rechtler-Vorsitzende Ferdinand Mayer eigens einen Bus organisiert hat. Die meisten der Teilnehmer gehen zum ersten Mal in ihrem Leben zum Demonstrieren.

Im Saal selbst ist die Dominanz der Leute aus dem Altmühl- und Anlautertal unübersehbar: Die Galerie ist komplett mit ihren Transparenten behängt: „Keine Zerstörung vom Anlautertal! Keine Mördertrasse“, ist da zu lesen oder „Amprion tötet uns langsam, unsere Region sofort“. Und auf einem Leintuch steht das „W-Wort“, das immer wieder an diesem Abend fällt: „Wackersdorf auch im Schuttertal“. Joelle Bouillon von der Dortmunder Amprion GmbH stellt sich dem Sturm der Entrüstung, dem Schreien und Pfeifen, mit äußerlich stoischer Ruhe. „Wir können gut nachvollziehen, dass Sie Ihre Ängste darstellen wollen“, sagt sie mit verständnisvollem Ton und erntet dafür erst recht ein tumultartiges Trillerpfeifen-Inferno – noch mehr, als sie sagt: „Wir wollen diese Planung nicht über Ihre Köpfe hinweg machen.“

Denn genau diesen Eindruck haben die Menschen, die aus dem Kreis Eichstätt gekommen sind. Erst vor ein paar Tagen ist den meisten von ihnen, auch den Bürgermeistern, klar geworden, wie konkret die Planungen schon sind, wie schmal der favorisierte Trassenkorridor mit einer Breite von nur einem Kilometer ist, wie nahe er an manchen Ortschaften wie Emsing, Walting und Rieshofen vorbei laufen würde. Und die Einspruchmöglichkeiten sind gering, der Zeitplan ganz eng. Benedikt Dirsch, der in Emsing im Anlautertal ein Hotel mit 90 Zimmern und 60 Mitarbeitern betreibt, ist fassungslos, wie da aus heiterem Himmel sein Unternehmen bedroht wird: „Wir sind alle wie vor den Kopf geschlagen. Ich weiß nicht, wie die Urlauber reagieren würden, wenn die Trasse so nah bei uns vorbeiführt. Wir setzen ja auf Wellness. Dass die Leitung oberirdisch verlegt wird, darauf wären wir nie gekommen.“

Und keiner glaubt den Verantwortlichen, dass es nur um die Beförderung von sauberer Windenergie von Norddeutschland nach Süddeutschland geht: Braunkohlestrom werde über diese Trasse fließen, vielleicht auch Atomstrom aus Tschechien und Russland, wirft Markus Birkner aus Walting Amprion vor. Doch ganz gleich, welcher Strom da befördert wird. Die meisten zweifeln, dass diese riesige „Stromautobahn“, die die Energie von zwei Atomkraftwerken befördern kann, wirklich benötigt wird. Almut Hagen aus Buxheim gehört dazu. Die junge Frau appelliert fürs Stromsparen. „Wir können mit den Leitungen auskommen, die wir haben.“

Die Amprion-Experten weichen unliebsamen Fragen geschickt aus, halten sich mit belastbaren Aussagen in der dreistündigen Fragerunde zurück, meinen viele Zuhörer. Der Marxheimer Bürgermeister Alois Schiegg sagt gegen Ende: „So wie mir diese Herrschaften vorkommen, da ist ein Aal ein sechziger Schleifpapier.“ Einfach nicht zu packen.

Uli Strauß aus Betzenstein in der Fränkischen Schweiz ist Sprecher einer der neuen Bürgerinitiative. Er sagt: „Hier sitzen Leute, die sind keine Revoluzzer, wir haben eine Bürgerinitiative, die explosionsartig wächst. Mein Appell an die Politik ist: Lösen Sie das im Frieden!“ Strauß sagt unter Applaus, die Bürger wollten „eine echte Energiewende, erneuerbar und dezentral“. Und wenn dafür dann mal eine Stromleitung nötig sei – bitte sehr.

Dass am selben Tag das bayerische Kabinett ein Moratorium, also ein vorläufiges auf Eis Legen der Trasse, gefordert hat, sieht Strauß skeptisch: „Wir nehmen das zur Kenntnis. Wir wissen auch, dass Wahlen anstehen.“ Das ist übrigens der einzige Punkt, bei dem sich Amprion und die protestierenden Bürger einig sind. Amprion-Sprecherin Joelle Bouillon sagt kühl: „Wir beobachten das und werden Gespräche mit der Politik führen. Aber wir haben einen Bundesbedarfsplan, der uns verpflichtet, dieses Projekt umzusetzen. Erst neue Gesetzte würden uns in de Pflicht bringen, dieses Projekt zu stoppen.“ – Der Eichstätter Landrat Anton Knapp sah das gestern Nachmittag in der Sitzung des Kreisausschusses übrigens genau so kommen: „Die Gleichstromtrasse ist zum Scheitern verurteilt. Die Front steht.“

Martin Beck, Greenpeace-Aktivist und Sonnenstrom-Unternehmer aus Eichstätt, sagt im Laufe des Abends das, was viele denken: „Wir brauchen diese Trasse nicht.“ Und den Verantwortlichen kündigt er dieselbe Entwicklung wie bei der einstmals für unverzichtbar gehaltenen atomaren Wiederaufbereitungsanlage an: „Ich war in den 80er Jahren in Wackersdorf, und ich garantiere euch: Das wird das zweite Wackersdorf in Bayern.“