Thalmässing
Nervöse Eltern, neugierige Kinder

Schon zu Schulbeginn bekommen Erstklässer in Thalmässing Eindruck vom freieren Unterricht

16.09.2014 | Stand 02.12.2020, 22:14 Uhr

Jetzt geht’s los: Die Büchertaschen und Schultüten dürfen noch die Eltern ins Klassenzimmer schleppen, danach sind die Erstklässer mit ihrer Lehrerin zum ersten Mal unter sich. Allzu große Scheu vor dem neuen Lebensabschnitt haben sie jedoch nicht. - Foto: Luff

Thalmässing (HK) Für 47 Kinder hat gestern der oft zitierte Ernst des Lebens begonnen – mit einer Menge Spaß. Schule soll schließlich Freude bereiten, so das Credo von Rektor Ottmar Misoph.

„Die Schule macht Spaß.“ Das sind folgerichtig Misophs erste Worte, noch bevor er die Kinder, ihre Eltern und zum Teil ihre Großeltern begrüßt. Wenngleich er sofort relativiert: Wahrscheinlich habe die Mama am Morgen ständig ermahnt, das Kind solle sich beeilen, ja nicht zu spät kommen, den Kaba nicht verschütten, ordentlich aussehen und und und. „Wenn es jeden Tag so ist, wollen wir nicht in die Schule“, zeigt Misoph Verständnis. Um die Erstklässer zu beruhigen: „Mama und Papa sind morgen nicht mehr so nervös.“ Schon ist das Eis gebrochen, der Spaß hält Einzug; in der Aula wird befreit gelacht.

Zum Schulanfang kämen immer mehr Begleitpersonen, stellt Misoph fest. Und schreibt den Älteren ins Stammbuch, dass sich seit ihrer Einschulung viele Dinge verändert hätten – „gerade und besonders hier in Thalmässing“. Die Schule setzt schon bei den Kleinsten auf ihr Motto „Stärken stärken“, will Kinder, die sich etwas zutrauen. Da sind auch die Eltern gefragt, weiß der Schulleiter. Sie sollten ihren Nachwuchs begleiten, empfiehlt er. Und wertschätzen. „Wertschätzung hat nichts mit Vergötterung zu tun“, mahnte er aber auch. Kleine Paschas und Prinzessinnen haben es also eher schwer, selbstbewusste Kinder dagegen machen ihren Weg. Vorausgesetzt, man gibt ihnen die nötige Zeit. „Keine Pflanze wächst schneller, wenn man daran zieht“, warnt Misoph vor zu viel elterlichem Ehrgeiz.

Sollte es doch einmal Schwierigkeiten geben, haben die Zweitklässer – die jetzigen Großen – vorgebaut: Sie haben im vergangenen Schuljahr lauter kleine Schutzengel gebastelt, die sie nun jedem der Neuen überreichen. Überdies haben sie zwei Lieder einstudiert. „Angst haben müsst ihr nicht“, heißt es in einem. Na also.

Und so tauen die frisch gebackenen Schüler auch schnell auf, als die Klassleiter Karlheinz Seefeld und Karin Käser mit ihnen in den ersten Stock in die Klassenzimmer gehen. Die Türen bleiben offen, das ist eine der Besonderheiten in der Thalmässinger Schule, es wird das offene Klassenzimmer propagiert. Den Satz „Mein Kind sitzt ganz hinten“, habe sie flüsternd gehört, wendet sich Käser an die Eltern, die mit den Schultüten hinterdrein kommen. „Bei uns gibt es kein ,hinten’“, klärt die Lehrerin auf. Flexibilität wird an der Schule groß geschrieben, variable Dreieckstische ermöglichen es immer wieder aufs Neue, kleine Lerngruppen zu bilden.

Eine Sache allerdings, die ist nach wie vor wie vor 30 oder 40 Jahren geregelt: Was sich in der Schultüte befindet, ist am ersten Tag ein spannendes Geheimnis. Doch nicht für jeden: Ein Ball sei drin, sagt Dominik auf Käsers Frage, nachdem die Eltern aus dem Zimmer gegangen sind. Wie seine neuen Mitschüler hat auch er zwar noch nicht in die Tüte hineinschauen dürfen , aber: „Ich hab’ immer wieder draufgehauen – das hat man gefühlt.“ Bei Tristan sind auf jeden Fall Süßigkeiten und Lego-Spielzeug dabei. „Ich weiß das, weil ich schon ein bisschen reingespitzt habe.“ Am einfachsten hat es Lion: Er bekommt ein Kuscheltier, das ist sicher. Denn das Erdmännchen lugt vorwitzig aus der Schultüte heraus.

Nach dem ersten gegenseitigen Beschnuppern wechseln die Kinder schon wieder das Zimmer – und statten der anderen ersten Klasse einen Besuch ab. Karlheinz Seefeld übt mit allen 47 Neuen das Lied „Alle Kinder lernen lesen“ ein, das Singen soll eine Überraschung für die wartenden Eltern werden. Gleichzeitig lernen sich die Schüler beider Klassen schon einmal kennen, immerhin werden sie in Zukunft einige Zeit zusammen verbringen: „Wir planen, täglich zwei Stunden gemeinsam zu unterrichten“, sagt Karin Käser. Eine Folge des freieren Stils in Thalmässing.

So sind am Ende des ersten Vormittags für die Erstklässer also alle Fragen geklärt. Bis auf eine: Was hat die Lehrerin Karin Käser in ihrer Schultüte? Das will diese aber erst am Nachmittag herausfinden, es sich merken und den Kindern am nächsten Tag erzählen – diese sollen ebenso verfahren. Unbedingt merken müsse sie sich das aber nicht, entgegnet ihr ein Schüler gönnerhaft: „Du kannst es auch aufschreiben – ich kann nämlich schon sehr gut rechnen.“