Nürnberg
Fasziniert von der Metamorphose

Kuratorin Christine Sauer spricht über "Maria Sibylla Merian. Blumen, Raupen, Schmetterlinge"

20.01.2017 | Stand 02.12.2020, 18:46 Uhr

Merian vereint Kunst und Natur: Der Raupen wunderbare Verwandelung von 1679. - Foto: Stadtbibliothek Nürnberg

Nürnberg (HK) Zu ihrem 300. Todestag wird die Malerin und Forscherin Maria Sibylla Merian derzeit mit einer Ausstellung in der Stadtbibliothek im Bildungscampus in Nürnberg gewürdigt. Im Ausstellungs-kabinett sind unter dem Ti-tel "Maria Sibylla Merian. Blumen, Rau-pen, Schmet-terlinge" über 40 Exponate zu sehen. Wir haben mit Ausstellungskuratorin Christine Sauer (Foto: Pelke) über die bahnbrechenden Arbeiten der Künstlerin und ihre Vorreiterrolle als Frau und Forscherin gesprochen.

 

Frau Sauer, was hat Sie beim Konzipieren der Ausstellung sowie der Arbeit an dem umfangreichen Begleitkatalog am meisten fasziniert an der Person Maria Sibylla Merian?

Sauer: Je länger man sich mit Leben und Werk der Künstlerin beschäftigt, umso facettenreicher wird der Gesamteindruck. Die wissenschaftliche Erforschung von Insekten steckte im 17. Jahrhundert noch in den Kinderschuhen. Maria Sibylla Merian hat somit im doppelten Sinn Neuland betreten. Sie hat nicht nur Pionierleistungen auf diesem naturwissenschaftlichen Gebiet erbracht, als Frau hat sie sich zudem eines bis dahin nahezu ausschließlich von männlichen Gelehrten behandelten Themas angenommen.

 

Woher kam bei ihr dieser "Spleen" für Raupen?

Sauer: Maria Sibylla Merian faszinierte die Verwandlung und die Veränderung in der Gestalt: Aus einem Ei schlüpft eine Raupe, die sich nach der Verpuppung wiederum in einen Falter verwandelt. Diese Metamorphose erfuhr auch eine religiöse Deutung. Das Schlüpfen des Schmetterlings aus der Puppe wurde als Sinnbild für die Wiederauferstehung des Leibes in erneuerter und verklärter Gestalt verstanden. Ein Aspekt dieser Faszination ist sicherlich die Unvorhersehbarkeit: Nicht aus jeder Raupe wird ein wunderschöner Schmetterling.

 

Was fasziniert Sie mehr - die Frau oder die Forscherin?

Sauer: Maria Sibylla Merian hat ihre Interessen sehr konsequent verfolgt. Sie hat eine Scheidung in Kauf genommen und ihre zwei Töchter alleine erzogen, nachdem die Ehe mit dem Maler Johann Andreas Graff um 1685 gescheitert war. 1699 wagte sie eine Schiffsreise nach Südamerika, um in Surinam zwei Jahre lang über Insekten zu forschen. Beeindruckend finde ich auch, wie es die Künstlerin geschafft hat, in Nürnberg so schnell Fuß zu fassen. Mit 21 Jahren kam sie als junge Ehefrau und Mutter in die Reichsstadt an der Pegnitz. Schnell war sie als Blumenmalerin erfolgreich. Als Lehrerin im Malen und Zeichnen versammelte sie eine Gruppe von gleichaltrigen Frauen und Mädchen um sich, darunter Töchter aus Patrizierfamilien. So schwierig eine Annäherung an ihre Person aufgrund der lückenhaften Quellen auch ist, so sind es diese kleinen Mosaiksteinchen, die den Eindruck von einer starken Persönlichkeit entstehen lassen.

Warum ist sie eigentlich nach Nürnberg gekommen?

Sauer: Der Liebe und des Geschäfts wegen. Die in Frankfurt am Main geborene Tochter des Verlegers und Kupferstechers Matthäus Merian folgte im Alter von 21 Jahren ihrem Mann, dem Maler Johann Andreas Graff, in dessen Geburtsstadt Nürnberg.

 

Warum hat sich das Paar später getrennt?

Sauer: Die genauen Umstände sind nicht bekannt. Man weiß, dass die Familie 1682 gemeinsam wieder nach Frankfurt gezogen ist, um das Erbe des gerade verstorbenen Stiefvaters von Maria Sibylla Merian zu regeln. Während dieser Zeit hat sich die Künstlerin pietistischen Kreisen angenähert. Mit ihrer Mutter und den beiden Töchtern ist sie in Westfriesland einer labadistischen Gemeinde beigetreten und hat in einer Art Kommune - so könnte man heute sagen - gelebt. Ihr Mann ist nach Nürnberg zurückgekehrt und strebte die Scheidung an, die 1694 erfolgte.

 

Apropos Kommune: Ist Merian nicht nur eine Ikone der Frauen in der Wissenschaft, sondern auch eine Vorreiterin der Hippiebewegung?

Sauer: Nein, das nun wieder nicht. Bei den Labadisten handelte es sich um eine religiöse Gemeinschaft. Als Frau zählt sie aber zu den Pionieren der Insektenforschung. In den Kupferstichen des Raupenbuchs kombinierte sie als Erste die verschiedenen Stadien der Insektenmetamorphose mit der zugehörigen Wirtspflanze. Sie vereinigte wissenschaftlichen Anspruch mit künstlerischem Wissen. Exakte naturhistorische Beobachtungen und aus der Blumenmalerei bekannte Kompositionsprinzipien bilden keinen Widerspruch. Bei Merian treten Kunst und Natur in einen Dialog.

 

Das Gespräch führte Nikolas Pelke