Hilpoltstein
"Vergessen ist politisch sehr gefährlich"

09.07.2010 | Stand 03.12.2020, 3:52 Uhr

Nach dem Vortrag stellt sich Stasi-Opfer Edda Schönherz (r.) noch den Fragen der Zuhörerinnen. - Foto: kx

Hilpoltstein (HK) Sie hat eins im berüchtigten Stasi-Gefängnis in Hohenschönhausen gesessen. Heute arbeitet sie dort – in der jetzigen Gedenkstätte – als Führerin. Edda Schönherz, ehemalige Fernsehmoderatorin in der DDR und später über 20 Jahre beim Bayerischen Rundfunk.

Bei einer Veranstaltung der Frauenunions-Kreisverbände Roth und Nürnberger Land hat sie über die Geschichte ihrer politischen Verfolgung, ihrer Inhaftierung und ihre heutige Tätigkeit gesprochen. Eine beeindruckende Veranstaltung.

1979 kam Edda Schönherz in der Bundesrepublik Deutschland an, nach einem harten Schicksal landete sie in Bayreuth. Es wurde ihr offiziell bescheinigt, dass sie drei Jahre völlig zu Unrecht im Gefängnis gesessen habe. Rhetorisch perfekt schilderte sie anschaulich den vielen Zuhörerinnen, wie sie sich während eines Urlaubsaufenthalts in Budapest 1974 in den Botschaften der Bundesrepublik und der Vereinigten Staaten nach einer Ausreisemöglichkeit aus der DDR erkundigte – es sollte der Beginn einer Lebenszäsur sein.

Die Botschaften wurden observiert, so die Zeitzeugin, einige Tage später nahm man sie in Ungarn fest, ohne dass man ihr strafbare Handlungen nachweisen konnte. Im September 1974 wurde sie zur "Klärung eines Sachverhalts" in die Untersuchungshaftanstalt des Ministeriums für Staatssicherheit (MfS) in Berlin-Lichtenberg abgeholt und drei Tage später von dort nach Hohenschönhausen gebracht. Im Dezember verurteilte man sie wegen "staatsfeindlicher Verbindungsaufnahme" und "Vorbereitung eines ungesetzlichen Grenzübertritts in besonders schweren Fall" zu drei Jahren Zuchthaus.

Sie kam in das Frauenzuchthaus Hoheneck in Stollberg im Erzgebirge. Nach der Entlassung aus der Haft sollte Edda Schönherz 1977 als Hilfskraft in einer Großbäckerei arbeiten, andernfalls drohte man ihr weitere zweieinhalb Jahre Arbeitserziehungshaft an. Sie fand jedoch eine Anstellung als Fotografin bei der katholischen Kirche in Berlin. Da sie an dem Ausreiseantrag für sich und ihre Kinder festhielt, konnte sie im August 1979 in die Bundesrepublik ausreisen. Sie arbeitete in München beim Bayrischen Rundfunk und kehrte 2002 nach Berlin zurück. Seit 2004 führt sie Besuchergruppen durch die Gedenkstätte.

Nach diesen Einblick in ihre Biografie schilderte die Trägerin des Bundesverdienstkreuzes Details: zum Beispiel, wie grauenvoll es für sie und ihre Kinder war, eines Morgens einfach abgeholt zu werden. Ihre Kinder wussten ein halbes Jahr nicht, wo sich die Mutter befand, Schönherz wurde im Unklaren darüber gelassen, wie es ihren Kindern ging.

Totenstille herrschte in dem Veranstaltungssaal, als die heute 66-Jährige berichtete, wie sie während ihres Gefängnisaufenthalts auf engstem Raum mit 23 Frauen zusammengepfercht wurde und reihenweise psychische und physische Demütigungen erdulden musste: "In der Zelle bist du niemand mehr. Nur eine Nummer." Beim Verhör musste sie sich komplett ausziehen. "Die Beamten untersuchten jede Körperöffnung." Lichtalarm, Injektionen, Schlafentzug – die Mittel der Stasi wahren zahlreich und perfide.

"Die Würde des Menschen ist unantastbar" – für sie sei der Paragraf 1 des Grundgesetzes nicht diskutabel, so Edda Schönherz. Mit ihren Erkundigungen über eine Ausreisegenehmigung habe sie nur der Vereinbarung im Helsinki-Vertrag entsprochen, bekräftige sie. Jeder DDR-Bürger durfte demnach in jede Botschaft gehen. Leider sei der Vertragstext nichts wert gewesen. Sie habe nichts anderes gewollt als Demokratie, Freiheit und Menschenrechte – und sie habe vor allem nichts verbrochen.

Sehr zu ihrem Bedauern, so führte die charismatische Zeitzeugin aus, konnten die Schuldigen auch nach der Wende nicht belangt werden, da es im Wiedervereinigungsvertrag kein Gesetz gebe, das Bedienstete der ehemaligen DDR nur aufgrund der Ausübung ihres Amtes für schuldig erklären würde. Ihr sei es heute wichtig, dass das Vergangene nicht in Vergessenheit gerate, denn: "Vergessen ist menschlich, aber politisch sehr gefährlich."

Alles müsse getan werden, damit die Demokratie erhalten bleibt. Bei ihrer Arbeit als Führerin für Besucher in der Gedenkstätte Hohenschönhausen habe sie schön öfter die Erfahrung machen müssen, dass es die "ewig Gestrigen" noch immer gebe, die sich ein solch totalitäres System wünschten; Stoff für viele Fragen, denen sich die Referentin im Anschluss gerne stellte.