Hilpoltstein
Ohne alle Grenzen und Barrieren

Behindertenbeauftragter der Bundesregierung auf Stippvisite auf dem Auhof und bei Regens Wagner in Zell

08.07.2013 | Stand 02.12.2020, 23:56 Uhr

Gerhard Kick erzählt dem Behindertenbeauftragten Hubert Hüppe (rechts) von denn kleinen Problemen im Alltag - Foto: Leykamm

Hilpoltstein (lkm) „Ich unterhalte mich prächtig“, sagt der Behindertenbeauftragte der Bundesregierung Hubert Hüppe, als er den Hilpoltsteiner Auhof besucht und mit den Bewohnern zu einem Plausch im Biergarten des dortigen Bauernhofs sitzt. Doch es ist an diesem Tag nicht sein erstes langes Gespräch mit behinderten Menschen: Eine Stunde zuvor hat er sich bei Regens Wagner in Zell zum Gedankenaustausch eingefunden.

Über mangelnde Anregungen seitens der beiden Einrichtungen für Menschen mit Behinderung braucht sich der CDU-Abgeordnete nicht zu beklagen. Los geht es gleich am Eingangstor in Zell, wo er von Leiterin Schwester Gerda Friedel nicht nur verbal, sondern seitens der Bewohnervertretung auch in Gebärdensprache begrüßt wird. Diese Form der Kommunikation ist hier, wo etwa 400 Hörbehinderte ihren Alltag gestalten, der Normalfall.

Nach außen ist da nicht selten ein Dolmetscher gefragt. „Aber den bezahlt niemand“, so Friedel. Hüppe kennt das Problem: Erst kürzlich sprach er auf einer Demonstration in Berlin, bei der unter dem Motto „Gebärdensprache ist Menschenrecht“ auf solche Defizite aufmerksam gemacht wurde. Doch es mangle nicht nur an der Finanzierung, sondern auch am Angebot. Es gebe schlicht zu wenig Dolmetscher, so Friedel. Selbst zum Besuch aus Berlin habe sich erst kurz vor Torschluss noch jemand gefunden. Für große Empörung hat in der Bundeshauptstadt wie auch in dem Hilpoltsteiner Ortsteil die Ankündigung des Nachrichtensenders Phoenix gesorgt, Tagesschau und Heute Journal künftig ohne Simultanübersetzung in Gebärdensprache auszustrahlen. Mittlerweile hat man sich dort aber eines Besseren besonnen.

Sehr zu Schwester Gerdas Genugtuung, die ohne falsche Bescheidenheit Hüppe gegenüber die Vorzüge in Zell anpreist: Hier habe man beispielsweise, schon lange bevor der Begriff Inklusion öffentlichkeitswirksam wurde, kleinteiliges Wohnen praktiziert – zu einer Zeit, „als Behörden und Heimaufsichten noch davor gewarnt haben“. Die Bewohner selbst haben derzeit Wünsche, die wohl jedermann nachvollziehen kann: Bewohnervertreter Michaela Kunz und Eric Bohn beispielsweise möchten gerne „Internet für alle Gruppen“. Den hier Lebenden fehlten dazu aber die finanziellen Mittel, die Einrichtung hingegen hindern Haftungsfragen daran vorzupreschen.

Auf die Nöte im Alltag macht beim Hüppe-Besuch Friedrich Reiser als Vorsitzender der Freunde und Förderer mehrfachbehinderter Hörgeschädigter aufmerksam: Wer sorgt für die Begleitung der Zellbewohner, wenn diese in ein Krankenhaus müssen? Solche Fragen zögen oft ein „Zuständigkeitsgerangel der Behörden“ nach sich. Vielfach mutmaßten Eltern zudem, dass das hehre Ziel der Inklusion als Vorwand genutzt werde, um Geld zu sparen. „Problem erkannt“, ist an jenem Nachmittag des Öfteren von Hüppe zu hören, der gelobt: „Da mache ich es wie ein Frettchen: Ich bleibe dran!“

Im Auhof trifft Hüppe kurz darauf bei Nieselregen ein: Die passende Gelegenheit für Einrichtungsleiter Andreas Ammon, den Gast aus Berlin buchstäblich unter den Auhof-Schirm schlüpfen zu lassen. Hüppe kommt zu spät. Eine halbe Stunde früher hätte er noch zahlreiche der 700 hier Betreuten aus den Werkstätten zum Abendessen statt nur den Regen strömen sehen, bedauert Ammon. Er begleitet den Behindertenbeauftragten zum Bauernhof, eines der Aushängeschilder der Einrichtung. Überschwänglich wird dort nicht nur Hüppe, sondern auch die CSU-Bundestagsabgeordnete Marlene Mortler empfangen, deren Einladung die Hilpoltsteiner Einrichtungen den Besuch des Gastes aus Berlin verdanken. Die Laufer Parlamentarierin bekommt von Bewohner Gerhard Kick sogar einen Handkuss, bevor er sich ausgiebig mit Hüppe unterhält. Diese Chance nutzt auch Sabine Eisemann: Ihr ist die Grundsicherung und ihre Handhabung ein Dorn im Auge. Sie wirke sich gerade dann nachteilig aus, wenn Menschen mit Handicap die Chance ergreifen und mit eigener Arbeit Geld verdienen, was sich in der Regel negativ auf ihren Geldbeutel auswirke. Dass dies das falsche Signal sei, bestätigt Hüppe. Ohnehin sehe er sich laut Mortler nicht als langer Arm der Bundesregierung, sondern als jemand, der ihr „sagt, wo es langgeht“, lobt Mortler Hüppes Einstellung. Die wurzele auch darin, dass der Beauftragte selbst Vater eines behinderten Kindes sei.

Am Ende fällt Gärtner Sebastian Brandl, der den Schritt ins selbstständige Wohnen geschafft hat, das passende Schlusswort ein. Seine Erfahrung am Auhof sei: „Da gibt es gar keine Grenzen und Barrieren, nur ein normales Miteinander zwischen Menschen mit und ohne Behinderung.“