Großnottersdorf
Das geheimnisvollste Denkmal auf dem Jura

Großnottersdorf hat einen Brunnen, wie er sonst nur auf größeren Burgen oder Festungen zu finden ist

05.01.2015 | Stand 02.12.2020, 21:48 Uhr

 

Großnottersdorf (HK) Es war für die Großnottersdorfer Kinder im Sommer 1929 sicherlich eine betrübliche Erfahrung, als beim Schusserspiel neben der Ortsstraße (heute Brunnenstraße) die wertvollen Glasmurmeln im Zielloch plötzlich auf Nimmerwiedersehen verschwanden.

Ein Knecht, der mit seinem Fuhrwerk vorbeikam, wurde auf die Kinder aufmerksam und kam zu Hilfe. Er stocherte mit dem Stiel seiner Peitsche in dem Loch herum, fand aber keinen Grund. Kein Wunder, dafür hätte der Peitschenstiel 40 Meter lang sein müssen, denn die Schusser waren durch das Loch in den Tiefen Brunnen von Großnottersdorf gefallen. Von dessen Existenz wussten die Ortsbewohner nichts mehr.

So erzählen es Josef Hofmeier aus Großnottersdorf und Gebhard Sandner aus Titting. Beide haben sich mit der Geschichte des Brunnens beschäftigt. Vieles wurde nur mündlich überliefert, so wie dieses Ereignis. Dokumente, wann der Brunnen gebaut wurde und wer ihn baute, gibt es nicht. Das bestätigte auch Kreisheimatpfleger Karl Heinz Rieder bei einem Ortstermin mit den Bürgermeistern der Altmühl-Jura-Gemeinden und Mitgliedern des Lenkungsausschusses von Altmühl-Jura. „Das geheimnisvollste Denkmal auf der Jura-Hochfläche ist der Tiefe Brunnen von Großnottersdorf“, so Rieder. Und er fügte hinzu, dass den Dorfbewohnern bis 1953 nicht bewusst war, welches Bauwerk sich unter ihnen befand. Man habe sich nur gewundert, dass es hier eine kreisrunde Stelle gab, auf der Schnee und Reif im Winter schnell wegtauten.

Die ältesten Quellen stammten aus dem Jahr 1907/1908 und beziehen sich auf Informationen des Militärs, erzählt der Kreisheimatpfleger. In Großnottersdorf lag damals eine Artillerieeinheit, die für ihre Zugtiere große Mengen Wasser benötigte. In ihren Unterlagen war ein Brunnen in Großnottersdorf eingezeichnet. Interessanterweise konnte der Brunnen aber nicht ausfindig gemacht werden.

Die erste gesicherte Öffnung des Brunnenschachts geschah dann 1953. Ein größerer Stein hatte sich aus dem Gewölbe, das den Brunnenschacht überspannte, gelöst. Dies berichtete Kasper Böhm aus Großnottersdorf. Der Schaden wurde umgehend repariert. So wusste man nun von der Existenz des Brunnens. Zu gerne wollte man auch wissen, wie tief er ist und welche Wasserqualität er hat. In den Jahren 1964/65 scheiterten erste Versuche, in den Brunnenschacht hinabzusteigen. Eine genauere Untersuchung erfolgte erst 1997. Während der Arbeiten an der Ortskanalisation hatte man den Brunnenschacht angeschnitten und die obere Einfassungsmauer beschädigt. Der damalige Bürgermeister Martin Heiß konnte Mitglieder der Höhlen- und Karstfreunde Greding (HuK) und die Ingolstädter Höhlenfreunde (IHF) für eine Befahrung des Brunnens gewinnen. Am 7. Juli und am 29. November 1997 wurde der Brunnen durch die Mitglieder der beiden Höhlenforschungsgruppen befahren.

Der kreisrunde Brunnenschacht hat einen Durchmesser an der Oberkante von drei Metern. Der Querschnitt des Schachts verjüngt sich stufenweise und beträgt beim Erreichen des Wasserspiegels in 35 Metern Tiefe nur noch 1,30 Meter. Die Wassertiefe selbst beträgt zwischen 60 und 120 Zentimeter. Das Karstwasser staut sich dort, weil sich in eben jener Tiefe von 35 bis 36 Metern die geologische Schichtgrenze des Braunen Jura zum Weißen Jura befindet. Der Grund für die Stauung ist eine wasserundurchlässige Schicht. Allerdings war der Brunnengrund bei der Befahrung mit Schlamm und Schutt bedeckt, sodass die genaue Tiefe nicht festgestellt werden konnte. Der Bericht ergab weiter, dass die entnommenen Wasserproben durchaus Trinkwasserqualität aufwiesen.

1998 wurde der Platz um den Brunnen gestaltet und die Öffnung mit einem Gitter gesichert. „Es ist ungewöhnlich, dass ein Ort von der Größe Großnotterdorfs einen derartigen Brunnen aufweisen kann“, bemerkte Karl Heinz Rieder. Derartig tiefe Bauwerke seien auf der südlichen Frankenalb nur in größeren Burgen und Festungen bekannt – wie auf der Willibaldsburg in Eichstätt und der Wülzburg bei Weißenburg. Dabei seien Parallelen in der Bauart zu erkennen: Bei allen drei Brunnen wurde ein kreisrunder Schacht von rund drei Metern Durchmesser nach unten getrieben, bis man auf festen Fels stieß. Der Schacht wurde von Hand durch den Fels geschlagen. Eine zeitraubende und mühselige Arbeit, „vor allem, wenn man bedenkt, dass der Brunnen im 16. oder 17. Jahrhundert gebaut worden sein könnte“, wie Rieder vermutete. Quellen dazu fehlten leider. Erstaunlich sei, woher das Militär Anfang des 20. Jahrhunderts das Wissen über die Existenz des Brunnens hatte.

Das außergewöhnliche Bauwerk, das in der Denkmalliste eingetragen ist, sowie das Wissen darüber sollten auch weiterhin gesichert werden, erklärte Andreas Brigl, Bürgermeister von Titting. Als 2012 die Einfassung schadhaft geworden war, beschloss die Marktgemeinde, den Brunnen erneut zu öffnen und wissenschaftlich untersuchen zu lassen. Eine weitere Befahrung mit drei Videokameras bestätigte die bereits bekannten Erkenntnisse. Die Brunneneinfassung wurde neu gestaltet. Auch eine Informationstafel wurde angebracht. Die Gesamtkosten beliefen sich auf 16 000 Euro. Die Gemeinde Titting beantragte über die LAG Altmühl-Jura im Rahmen des Projekts „Kleinode der Kulturlandschaft“ einen Zuschuss in Höhe von 6700 Euro aus dem Leader-Programm. Das Landesamt für Denkmalpflege förderte die Arbeiten mit 3000 Euro. Nun ist der Brunnen in der Dorfmitte ein Schmuckstück und wird in der Osterzeit von den Frauen mit einer Osterkrone geschmückt.